Gegen das schnelle Entsorgen der Geschichte

Veranstaltung in Erfurt fragt: Was ist geblieben von der DDR-Opposition?

  • Anke Engelmann, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn sich 2009 der Jahrestag der Wende jährt, wird es vor allem eines geben: Jubelfeiern und Selbstbeweihräucherung, fürchten viele der damals Aktiven. Eine Veranstaltung in Erfurt will nun der Frage nachgehen, was die DDR-Oppositionsgruppen heute noch für eine Bedeutung haben.

Basisdemokratische Grundsätze, ein Umweltbegriff, der nicht nur Ökologie, sondern die gesamte Gesellschaft beinhaltete, die Nähe zur Kirche: Was ist geblieben von dem, was die oppositionellen Gruppen der DDR auszeichnete? Bei den Jubelfeiern anlässlich des Wende-Jahrestages könnten ihre politischen Ansätze untergehen, fürchtet Bildungsreferent Bernd Löffler von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen (RLS). »Geschichte wird so schnell entsorgt.« Immerhin wollten viele der Aktivisten »eine unabhängige, selbstständige DDR mit einem veränderlichen Sozialismus.« Am 13. September fragt die RLS gemeinsam mit der Offenen Arbeit (OA) in Erfurt nach der Bedeutung der oppositionellen Basisgruppen der DDR in der aktuellen politischen Arbeit.

Also keine historischen Reminiszenzen, kein gegenseitiges Schulterklopfen? Ein bisschen schon: Ehemalige Kontrahenten von Basisgruppen und Staatsmacht sollen zu Wort kommen, ergänzt durch den Blick von außen, der »West-Sicht«.

In Workshops wollen die Teilnehmer anschließend aktuelle Bezüge herstellen: Militärpolitik, Geheimdienste, Umgang mit der Macht und das Verhältnis zwischen Linken und Kirche. In der abschließenden Podiumsdiskussion geht es um Perspektiven emanzipatorischer Bewegungen. Neben der Bürgerinitiative gegen die 380 kV-Stromtrasse durch den Thüringer Wald sollen attac, das Volksbegehren zu mehr Demokratie in Thüringen und die Kontaktstelle Soziale Bewegungen der Linksfraktion im Bundestag auf dem Podium sitzen. Die Ergebnisse sollen später in einer Broschüre veröffentlicht werden, erläutert Matthias Weiß von der OA.

In den siebziger und achtziger Jahren war in Thüringen die oppositionelle Szene sehr aktiv. Vor allem in der Universitätsstadt Jena, wo es mit der JG Stadtmitte eine starke kirchliche Basisgruppe gab, konzentrierte sich die Bewegung. Im Zusammenhang mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 versuchte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit massivem Druck die Jenaer Szene zu zerschlagen: Gefängnis, Abschiebung in den Westen, Berufsverbote. Die erste große Ausreisewelle Ende der Siebziger. Eine zweite folgte 1983/84.

Typisch nicht nur für Thüringen: Die meisten Basisgruppen fanden einen gewissen Schutz und ein Zuhause unter dem Dach der Kirche. Das wird dem Thüringer Pfarrer Walter Schilling zugeschrieben, der als Vater der Offenen Arbeit gilt. Die sozialdiakonische Jugendarbeit der OA, die Schilling seit 1968 mit aufbaute, verlangte keine religiösen Bekenntnisse, sondern nahm »randständige Jugendliche« auf, die sich gegen staatliche, aber auch gegen kirchliche Bevormundungen zur Wehr setzten. Die OA setzte zudem auf Basisdemokratie und lehnte hierarchische Strukturen ab. Nach und nach entstanden so Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen.

Andere verzichteten bewusst auf den Schutz, den die Kirche bot und suchten Freiräume in staatlichen Organisationen. So gab es seit 1984 im Erfurter Kulturbund Arbeitsgruppen, die zu Umweltschutz oder Stadtumbau aktiv waren.

Anmeldung unter vorstand@rosa-luxemburg-stiftung-thueringen.de oder unter 03641-449432, www.rosalux.de

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