nd-aktuell.de / 06.09.2008 / Politik / Seite 3

Nur Wasser und Traubenzucker

Katalanischer Gefangener Amadeu Casellas hungert für Strafmilderung

Andreas Knobloch, Barcelona
Die Strafobergrenze von 20 Jahren hat er erreicht: Amadeu Casellas, Kataloniens am längsten einsitzender politischer Gefangener. Dennoch wird ihm der Übergang in den offenen Vollzug verweigert. Amadeu Casellas befindet sich deshalb seit mehr als zwei Monaten im Hungerstreik.
Solidaritätskundgebungen für Casellas in Barcelona
Solidaritätskundgebungen für Casellas in Barcelona

Siebenundsiebzig Tage. Siebenundsiebzig Tage ohne feste Nahrung. Siebenundsiebzig Tage Widerstand bis zur letzten Konsequenz. Siebenundsiebzig Tage – eine unglaubliche Zahl. Solange befindet sich der katalanische Anarchist Amadeu Casellas Ramón schon im Hungerstreik. Sein Ziel: die Verlegung in den offenen Vollzug oder eine Verkürzung seiner Haftstrafe. Die Nahrungsaufnahme zu verweigern, ist für ihn der letzte Weg, seine Stimme hörbar zu machen.

Mehr als 20 Jahre sitzt Casellas nun schon im Knast und ist damit derzeit Kataloniens am längsten inhaftierter politischer Gefangener. Nach geltendem Strafrecht sind 20 Jahre die Strafobergrenze (nach altem Recht: 30 Jahre), trotzdem verweigert man ihm die Freiheit oder auch nur die Erlaubnis für Freigänge.

Dabei erfüllt Casellas zumindest zwei von drei Voraussetzungen für den offenen Vollzug: Er hat bereits drei Viertel seiner Strafe abgesessen und ihm wird gute Führung bescheinigt. Außerdem stehen Freunde und die Familie bereit, die soziale Wiedereingliederung zu unterstützen, und es gibt eine feste Arbeitsplatzzusage für den Fall seiner Entlassung. Die einzige Voraussetzung, die er nicht erfüllt: Er ist nicht Gefangener des dritten Grades, eine Einstufung, die ihm mit Verweis auf seine Fluchtversuche beständig verweigert wird. Dass diese lange zurückliegen, interessiert die Justiz nicht.

Durch den Hungerstreik ist Amadeu Casellas stark geschwächt. Es besteht die Gefahr irreparabler gesundheitlicher Schäden oder gar des Todes. Bis zum heutigen Tag hat er knapp 30 Kilogramm Gewicht verloren. Er ernährt sich ausschließlich von Wasser mit aufgelöstem Traubenzucker; die Valium-Tabletten wurden abgesetzt. Doch er gibt sich weiterhin kämpferisch und optimistisch. An ein Aufgeben ist nicht zu denken: »Freiheit oder Tod, es gibt keinen anderen Ausweg!«

In einem Kommuniqué aus dem Gefängniskrankenhaus in Terrassa bei Barcelona schreibt Casellas am 27. August: »Die Gründe, die mich zu diesem Hungerstreik bis zur letzten Konsequenz getrieben haben, sind: meine Situation und die meiner Genossen in den katalanischen Knästen sowie im gesamten Staat bekannt zu machen und dagegen zu protestieren. Denn hinter diesen Mauern verüben die Strafinstitutionen jede Art von Missbrauch und Folter mit Einwilligung und Komplizenschaft der Wärter.«

Seit 1973 – mit 14 Jahren – Anhänger der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT, wurde Casellas erstmals im September 1979 wegen bewaffneten Raubüberfalls inhaftiert. Seit 1986 sitzt er permanent in katalanischen Gefängnissen. In den 70er und 80er Jahren war er an Banküberfällen beteiligt, bei denen nie jemand getötet oder verletzt wurde. Mit dem erbeuteten Geld wurden politische Aktionen finanziert, u.a. die Tierra Lliure, eine bewaffnete katalanische Untergrundorganisation, die für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien kämpfte.

In der letzten Woche fand eine von anarchistischen und anderen Unterstützergruppen initiierte Internationale Kampfwoche für die Freiheit Amadeu Casellas' statt. Dabei kam es in ganz Spanien, aber auch in Mexiko und anderen Ländern zu Protest- und Solidaritätsbekundungen. In Toledo traten drei Genossinnen aus Solidarität ebenfalls in Hungerstreik.

In Barcelona gab es verschiedene kleinere direkte Aktionen und eine Demonstration von mehreren Hundert Menschen, die auch über die Touristenmeile Las Ramblas bis vor die Generalität, den Sitz der Regionalregierung von Katalonien, führte. Zudem kam es am Montag vergangener Woche vor der Generaldirektion für die Strafinstitutionen in Katalonien, die über die Einstufung zum Gefangenen dritten Grades entscheidet, zu einer kurzzeitigen Besetzung der Straßenkreuzung durch eine Unterstützergruppe, nachdem der Direktor der Institution ein bereits vereinbartes Gespräch verweigert hatte.

Bei der Aktionswoche ging es in erster Linie darum, Öffentlichkeit für den Hungerstreik von Amadeu Casellas zu schaffen. Darüber hinaus sollten die Themen Knast und Repression in den Blickpunkt nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit, sondern linker Politik überhaupt gerückt werden. Denn Unterstützung beschränkt sich oft nur auf das persönliche Umfeld der Inhaftierten – wenn überhaupt. Entsolidarisierung und bürgerliche Argumentationsmuster (»irgendwas wird schon dran sein, wenn sie im Knast sitzen«) überwiegen. Knast wird von vielen kaum als Herrschafts-, Unterdrückungs- und Ausbeutungsapparat wahrgenommen. Dabei hat die Aktionswoche gezeigt, dass ein politisches Leben ohne Knast und Repression eine Illusion ist.