PLATTENBAU

  • Thomas Bruhn
  • Lesedauer: 3 Min.

Die neue CD von Scarlett O' und Jürgen Ehle, »Fifty/Fif- ty«, ist keine dieser gelackten Gute-Laune-Party-Scheiben. Und mit Verlaub, eine solche wäre von den beiden auch nicht zu erwarten gewesen. Zu gut wissen sie, wie Frohsinn die Kreatur benebelt. Gegen den alltäglich ortsüblichen Nebel setzen sie wundersam seltene Klarheit in Text, Musik, Interpretation.

Beide sind sie jetzt über fünfzig und der Lack ist ab – was aber unter dem Lack zum Vorschein kommt, ist tiefe Wahrhaftigkeit. Nicht, dass sie einen Sack voll Oberbesserwisserwahrheiten öffneten und wie Manna übers Volk ausschütten, mitnichten: ihre Wahrheit besteht hauptsächlich im Fragen Stellen und im infrage Stellen. Nichts ist mehr so sicher und absolut wie mit achtzehn, überall lauert heuer der Zweifel.

Schon mit ihren letzten Alben ist ihnen der Sprung in die erste Reihe derjenigen gelungen, die man nennt, spricht man vom Lied, vom deutschen Lied. Es sei bewusst und absichtlich zwischen Song, Chanson und Lied unterschieden. Diese sind zwar miteinander verbandelt, achten aber durchaus auf Eigenständigkeit. Wie die bucklige Verwandtschaft vom Lande weiß jeder genau was beim anderen geschieht und tut, als hielte er respektvoll Distanz. Scheint aber etwas brauchbar, wird gekupfert auf Teufel komm raus. Das tut dem Lied an sich und in diesem speziellen Fall dem Album von Scarlett O' und Jürgen Ehle gut.

Gemeinsam ist Liedern, dass sie – was von vornherein zum Scheitern verurteilt ist – in drei, vier Minuten ein Thema zu behandeln versuchen; gemeinsam ist ihnen – was durch die Kombination von Text und Musik leicht gelingt –, dass sie den Weg in die Herzen und Hirne der Hörer finden. Könnte man Lieder beschreiben, bräuchte man sie nicht mehr zu singen. Aber soviel soll versucht werden: Scarlett O' und Jürgen Ehle singen von Gewinn und Verlust, von Abschieden und Neuanfängen und von der Sehnsucht, die man nie befriedigt. Sie singen von all den Dingen zwischen Mensch und Mensch, die alltäglich und allgegenwärtig sind, seit immer bis ewig. Duplizität der Ereignisse: Es findet sich ein »Wolke 9«-Lied auf der CD. Die Lieder haben es faustdick hinter den Ohren. Sie kommen öfter leise als laut daher und lassen so schnell nicht los. In besseren Kreisen spricht man in einem solchen Fall von Nachhaltigkeit.

Sind nur zwei auf einer Scheibe zu hören, besteht die Gefahr, dass es langweilig wird. Das Duo umgeht diese Falle, indem es auch auf Vielstimmigkeit bei den Texten setzt. Für das neue Album dichteten Werner Karma, Frank Viehweg, Gerd Püschel und Scarlett O' selbst.

Das Einmannorchester Jürgen Ehle komponierte fast alles und bringt mehr musikalische Farben und mehr instrumentales Können in knapp einer Stunde auf den Silberling, als die meisten Radiosender in ihrem ganzen Leben. Sollte es sie nicht auf den Plätzen halten, so wird Scarlett O' sie mit ihrem Temperament angesteckt haben; sie hat mit – Verzeihung: Man verrät nicht das Alter einer Dame, auch wenn sie es selbst zum Programm erhebt – sie hat mehr Feuer im Blut als die versammelte zwölfte Klasse eines Lyzeums.

Hervorgehoben und mit dem Prädikat besonders hinterlistig versehen soll sein, mit welchem Vergnügen zwei Vegetarier aus vollem Hals eine Schlachthofkapelle besingen; hervorgehoben auch die in Text und Musik gesetzten Cartoons des Karikaturisten OL. Ein wunderbares Berlin-Lied, dem dieses Etikett nicht extra aufgeklebt werden muss.

Rundum ist »Fifty/Fifty« ein gelungenes Album, mit Scherz, Ironie und tieferer Bedeutung. Im wahrsten Sinne des Wortes Proviant für die Seele. Chapeau.

Scarlett O'/Jürgen Ehle: Fifty/Fifty (Electrocadero)

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