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Goldene Zukunft? Wüste Zukunft

In der argentinischen Provinz San Juan sollen – hoch in den Anden – über 150 Goldminen eröffnet werden. Umweltbewusste warnen, doch die Bevölkerung schweigt dazu

  • Antje Krüger
  • Lesedauer: 7 Min.

»Schau dich mal um. Du siehst die Provinz funktionieren, als ob nichts passiert«, sagt Ricardo Vargas und macht eine weite Geste über wüstes Land mit grünen Flecken. »Hier passiert ja auch nichts. Es passiert alles dort hinten in den Bergen. Genau das ist das Problem«, fährt der stämmige 40-Jährige fort und deutet zu Gipfeln in der Ferne.

San Juan im Nordwesten Argentiniens, Vargas' Heimat, ist eine kärgliche Region. Wüstes Land, grün nur entlang der Gletscherflüsse, die aus den 6000 Meter hohen Anden kommen. In deren Tälern gedeiht das Leben üppig. Zwei Schätze birgt die Provinz – Wasser und Gold. Zwei Schätze, die ganz unterschiedlichen Reichtum bringen, ganz unterschiedliche Interessen bedienen. Um beide wird gestritten. Und der Streit berührt existenzielle Fragen der ganzen Gegend.

Ricardo Vargas packt die blanke Wut

»San Juan ist historisch gesehen eine Agrarprovinz, der zweitgrößte Weinproduzent in Argentinien. In den vergangenen vier Jahren haben wir unsere Produktion fast verdoppelt«, erklärt Juan José Ramos, Vorsitzender der Vereinigung Unabhängiger Weinbauern in San Juan. Von den gut 700 000 Einwohnern der Provinz leben 300 000 von der Arbeit auf dem Feld. Zahlen, die inmitten der Wüste erstaunen.

»Unser Wasser aus den Gletschern der Anden hat eine so hohe Qualität, dass es Mineralwasser gleicht«, sagt Ramos. Er steht am Stausee Ullum und erklärt die Bewässerungsarbeit von Generationen. »Aber jetzt kommt der Goldabbau hinten in den Bergen. Und der macht uns große Sorgen.«

Auch Ricardo Vargas parkt seinen Jeep am Stausee. Der Ort ist symbolisch für San Juan. Um ihn sammelt sich das Leben. Vargas breitet Landkarten auf der Kühlerhaube aus und fährt mit dem Stift darüber, während er das Problem der Provinz erklärt. »San Guillermo, das Biosphärenreservat. Hier befindet sich die Goldmine Veladero. Die Mine Pascua Lama liegt gleich nebenan«, sagt er und zeichnet Kreise für Bergbauprojekte und Linien für Flussverläufe. Am Ende ist die Karte komplett mit Kreisen bedeckt.

Veladero, die erste von über 150 bewilligten Minen, wurde mittlerweile in Betrieb genommen. Hier schürft die kanadische Barrick Gold Corporation, einer der größten Goldförderer der Welt. Pascua Lama, direkt auf der Grenze zu Chile gelegen, soll demnächst eröffnet werden.

Jahrtausende lag das Edelmetall unberührt tief in den Bergen. Es gab keine Möglichkeit, es gewinnbringend zu fördern. Doch nun sind die technischen Voraussetzungen geschaffen. »Das Gold wird im Tagebau geschürft«, erklärt Vargas, der sich bis ins Detail mit dem Bergbau neuen Stils auskennt Dazu werden ganze Berge gesprengt, und das Gestein wird zerkleinert, um es mit Chemikalien auszuwaschen.

Wenn Vargas über die Minen spricht, packt ihn die blanke Wut. Veladero zum Beispiel liegt direkt im Biosphärenreservat San Guillermo. Das Reservat mit seinen vom Aussterben bedrohten Vikunjas, einer Lama-Art, steht unterm Schutz der UNESCO. Zu dieser 4500 Meter hoch liegenden Ebene brachte Vargas früher interessierte Wanderer. Heute klärt er darüber auf, was dort oben geschieht.

»Pascua Lama, die größte Mine, wird ein 483 Hektar großes Becken mit Zyankali, Sulfid und anderen Chemikalien haben. Dreimal größer als dieser Stausee hier«, berichtet Vargas und deutet hinter sich. »Das Becken liegt auf fast 5000 Meter Höhe. Und wir sind auf 600 Meter Höhe, ein riesiger Unterschied. Das ganze Ökosystem basiert aber auf der Verbindung von Wasseradern. Es ist unmöglich zu glauben, dass ein Chemiesee in 5000 Meter Höhe hier unten keine Probleme schafft«, sagt er.

Sprengstaub wird sich auf Gletscher legen

Gold kann ohne Wasser nicht abgebaut werden. Täglich werden allein in Pascua Lama 12 Millionen Liter benötigt. Das Wasser aber könnte unheilbar geschädigt werden. Denn die Sprengung der Berge bedroht die umliegenden Gletscher, die unter einer Sprengstaubschicht schneller schmelzen und verschmutzen. Und San Juan ist ein Erdbebengebiet. Risse in einem Chemikalienbecken oben in den Bergen könnten das Grundwasser auf Jahrzehnte vergiften. Selbst die Windrichtung ändert sich durch das Versetzen der Berge. Niemand kann vorhersagen, wie sich das auf die Niederschläge in den Anden auswirkt, die überlebensnotwendig für San Juan sind.

Die Barrick Gold Corporation hat für beide Minen Umweltberichte eingereicht. In den mehr als 1000 Seiten starken Ausführungen ist alles aufgezählt, worauf auch Ricardo Vargas sein Wissen stützt. »In ihren Berichten verschweigt die Barrick Gold nichts. Die wissen genau, was sie dort oben tun. Auch unsere Regierung weiß es – und stimmt zu. Die Barrick hat damit saubere Hände und die Verantwortung abgegeben. Und den Einwohnern wird etwas ganz anderes verkauft. Da werden Gefahren verharmlost und erklärt, es wäre alles unter Kontrolle. Nur zusichern und nachprüfen kann das niemand«, sagt Vargas.

»Das ganze Gebiet um die Minen ist unbekanntes Land für 99 Prozent der Sanjuaninos, denn es ist unbewohnt. Die Region ist im geografischen Bewusstsein gar nicht vorhanden. Die Leute fühlen die Auswirkungen nicht. Noch nicht. Und es wird auch noch lange dauern, bis hier unten etwas zu merken ist«, beschreibt Chango Illanes seine Sorge. Die Zahl derer, die Zugang zur Minenregion hatten, lässt sich an einer Hand abzählen. Der Historiker Illanes erforschte die Inkageschichte dieser Berge und kennt sie deshalb. Ricardo Vargas führte Touristen dorthin. Der Winzer Juan José Ramos verfolgt gedanklich den Lauf der Flüsse, die seinen Wein bewässern, bis zur Quelle zurück.

Der Zugang zum Biosphärenreservat San Guillermo ist heute durch einen Posten der Barrick Gold Corporation gesperrt. Niemand außer den Bergarbeitern und den Wildhütern des Nationalparks kommt mehr hoch. »Uns sind die Hände gebunden. Wir sind Angestellte des Staates, der dieses Desaster zulässt. Rein rechtlich können wir gar nichts machen, und von Seiten der UNESCO kam nie ein Einspruch. Ein Biosphärenreservat ist in drei kreisförmige Gebiete geteilt. Um einen Kern mit striktem Schutz ist eine Übergangszone gelegt, und der äußere Ring ist nutzbares Gebiet. Darin liegt Veladero. Aber wer glaubt, dass Aktivitäten im äußeren Ring das Leben im Inneren des Parks nicht beeinflusst, der ist entweder naiv oder er schließt absichtlich die Augen«, sagt José Gallo, der vierzehntäglich im Nationalpark nach dem Rechten sieht.

Für L., einen Bergarbeiter in Veladero, reicht der bloße Menschenverstand, um zu begreifen, was dort geschieht. »Die Barrick sagt, wenn die Mine nach 20 Jahren geschlossen wird, soll hier alles wieder so hergerichtet werden, wie es war«, sagt der kleine, untersetzte Argentinier. Seinen Namen möchte er nicht nennen, denn die Arbeit ermöglicht es ihm, seine fünf Kinder gut ausbilden zu lassen. »Ich glaube nicht, dass sie die Verschmutzung unter Kontrolle haben. Man kann einen Berg nicht einfach von unten nach oben kehren, ohne dass etwas passiert. Wir tragen ja mehr als 1000 Meter ab. Da wird Arsen aus dem Fels freigesetzt. Und Wasser, das bei Bohrungen raussprudelt, fehlt weiter unten. Wie soll man denn das wieder rückgängig machen?«, fragt er.

»Als wollte man die Pinguine retten...«

»Die Gewichte von Wasser und Gold sind auch in den Nachbarprovinzen Mendoza und La Rioja gegeneinander abgewogen worden, die ähnlich wie wir von der Landwirtschaft leben. In beiden Provinzen wurde diese Art von Bergbau daraufhin verboten. Hier aber sollen über 150 Projekte her«, sagt Winzer Juan José Ramos. Und die Einwohner? Sie schweigen. Teils aus Unwissenheit, teils aus Desinteresse, teils aus Angst. Und – sie merken ja nichts. Noch nicht.

»In den Regionen, in denen die Projekte gestoppt wurden, konnten die Leute den Berg sehen, den es betrifft«, sagt Ricardo Vargas und zeigt zu einem Hügel. »Da sagen sie, ich will nicht, dass du den zerstörst. Aber hier sehen es die Leute nicht. Wie schwer ist es, dagegen anzugehen! Das ist, als wollte man die Pinguine retten«, zuckt Vargas die Schultern, packt Landkarte und Stifte wieder ein und wirft noch einen Blick zu den fernen Bergen

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