»Ein herrliches Weib«

Vor 200 Jahren starb Catharina Elisabeth Goethe, die Mutter des Dichters

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 4 Min.

Ihren letzten Brief schrieb sie am 28. August 1808. Sie schrieb ihn an Bettine von Arnim, und sie dachte an ihren Sohn, der an diesem Tag Geburtstag hatte. »Er soll Leben!« rief sie der jungen Freundin zu. Vor sich hatte sie den besten Wein des Hauses, etwas Wasser und zwei Pfirsiche. Sie habe den Becher der Mutterfreude bis auf den letzten Tropfen geleert, meinte sie, und ihr könne »nicht unklücks-Schicksal« mehr aufgeladen werden. Da hatte sie noch gute zwei Wochen zu leben. Sie starb am 13. September, 77 Jahre alt. Ihr Sohn weilte schon seit Monaten in Karlsbad und Franzensbad, erst am 17. September war er wieder in Weimar. Da hatte man seine Mutter schon begraben. Er fuhr auch jetzt nicht nach Frankfurt am Main. Christiane wurde geschickt, um die Erbschaftsfragen zu regeln.

Für Wieland war Catharina Elisabeth Goethe »die Königin aller Weiber«. Carl August, der Herzog, fand, sie sei »eine herrliche Frau«, und er freute sich, sie zu kennen. So hoch gestimmt, so beeindruckt und begeistert haben alle, die sie sehen wollten, den Großen Hirschgraben in Frankfurt wieder verlassen, Klopstock und Herder, Lavater, Anna Amalia und Luise, die Königin von Preußen. Frau Aja, die Frau Rat Goethe, war die Liebenswürdigkeit in Person, hinreißend offen und von imponierender Herzlichkeit. Die Briefe, die sie in die Welt schickte, erzählen davon noch heute. »Lieber Sohn«, schrieb sie 1778 an Wieland, »Merck war 3 Tage bey uns, da Er fort ist suche ich im Zimmer nach, raume auf, wie das bey Poeten ein nöthiges werck ist, wie Ihr aus vorgehendem Brief zur gnüge ersehen könt. Den der arme brief hätte gewiß gelegen und wäre niemals an ort und stelle gekommen hätte Frau Aja weniger Einsicht in das Poeten wesen. Aber die ist Gott sey danck noch nicht aus der übung obgleich Herr Wolfgang Goethe schon 3 Jahr Ihr Hauß nicht mehr erfreut, sondern sein Licht in Weimar leuchten lässt.«

Die Nachwelt kennt sie aus diesen zauberhaften, charmanten und warmherzigen Briefen. Sie bestätigen, was der Sohn über die Mutter gesagt hat: Dass sie eine Person von ansteckender Fröhlichkeit war. Aber Goethe hat auch dafür gesorgt, dass ihre Korrespondenz nicht vollständig erhalten blieb. Er hat von Zeit zu Zeit ja nicht nur eigene, sondern auch viele Schreiben der Mutter vernichtet. Aus den Jahren 1765 bis 1792, einem Zeitraum von beträchtlichem Ausmaß, sind lediglich drei Briefe (und ein Zusatzblatt) von ihr erhalten, und das auch nur, weil sie glücklicherweise in fremdem Besitz waren. Der verschonte, der überlieferte Rest, meinte Ernst Beutler, als er 1960 die »Briefe aus dem Elternhaus« mit drei grundlegenden Essays einleitete, steht »unter einem gewissen sinngebenden Zeichen«: Er bekräftigt das Bild von der »Frohnatur«, der glücklichen, heiteren, zufriedenen Frau. »Und so«, sagt Beutler, »sollte die Nachwelt die Mutter sehen, froh und dankbar für das Glück des Lebens.«

Aber da waren genug dunkle Wolken und Schicksalsschläge, da gab es reichlich Kummer und bittere Enttäuschungen, und an manchem Ungemach, manch verzweifelter Stunde war der Sohn, ihr »Hätschelhans«, nicht unbeteiligt. Er hat sie, was sie sehr bedrückt haben muss, äußerst selten besucht, und dass er mit Christiane Vulpius lebte, auch Vater geworden war, hat sie erst nach Jahren erfahren. Sie hätte ihm diese Geheimniskrämerei verübeln können, sie tat es nicht. Stattdessen setzte sie sich hin und schrieb der Gefährtin ihres Sohnes einen Brief, der eine herzliche und vertrauensvolle Korrespondenz eröffnete. Dass es eine Frau niederen Standes war, hat sie nicht im Geringsten gestört.

Sie hat ihr Schicksal tapfer getragen. Sie war siebzehn, als sie, mehr aus Pflicht als aus Neigung, den Kaiserlichen Rat Johann Caspar Goethe heiratete, einen Mann, der gut und gern doppelt so alt war wie sie, der alle im Haus, auch die Ehefrau, wie Schüler behandelte. Sieben Kinder hat sie zur Welt gebracht, von denen nur zwei am Leben blieben.

Frau Aja, die stolze, aufgeschlossene Mutter eines mittlerweile berühmten Sohnes ist sie erst nach dem Tod ihres Mannes 1782 geworden. Es kam sogar noch einmal ein Mann ins Spiel, der sie erst verjüngte und dann enttäuschte. Sie liebte das Theater und die Musik, sie las, spielte Schach und Klavier, genoss den Ruhm und die prominenten Gäste. Nur der Sohn kam leider nicht. In ihrem letzten Jahrzehnt hat er überhaupt nicht mehr seine Heimatstadt betreten. Aber sie ließ sich in ihrer grenzenlosen, unerschütterlichen Liebe nicht beirren, schickte Wein nach Weimar, Spezialitäten, Geschenke. Auf einem kleinen Blatt hat sie einmal die Summen notiert, die sie Goethe zwischen 1778 und 1801 zukommen ließ. Es war ein stattlicher Betrag. Nach ihrem Tod erhielten die Erben, Johann Wolfgang und die Tochter seiner verstorbenen Schwester Cornelia, noch einmal fast 45 000 Gulden.

Zum Weiterlesen: Dagmar von Gersdorff: Goethes Mutter. Eine Biographie. Sonderausgabe. Insel Verlag. 464 Seiten, geb., 9,90 EUR.

Die Abbildung entnahmen wir dem aus dem Band »Goethe. Sein Leben in Bildern und Texten«, den Christoph Michel im Insel Verlag herausgegeben hat (413 S., Leinen, 61,99 EUR).

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