Beim Gedenken in der Falle

Stadtrat Dresden nimmt erstmals Antrag des »Nationalen Bündnis« an

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Stadtrat Dresden hat sich vom »Nationalen Bündnis« überrumpeln lassen. Er willigte in eine Gedenkminute für die Opfer des 11. September ein – und stimmte so erstmals einem von den Rechten gestellten Antrag zu.

»Die neue Disziplin im Rathaus« war gestern ein Text einer Dresdner Lokalzeitung überschrieben, in dem die frisch gewählte Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) einem »Stiltest« unterzogen wurde. Dem Urteil – streng, kontrolliert, schnörkellos – widerspricht André Schollbach indes vehement: Orosz habe in einer Schlüsselsituation versagt, kritisiert der Fraktionschef der LINKEN – und so einem »schweren Eklat« den Weg bereitet: Erstmals wurde im Rat ein Antrag des »Nationalen Bündnisses«, dem auch zwei NPD-Mitglieder angehören, angenommen.

Inhalt des Antrags, den der parteilose Stadtrat Wolfgang Schwarz während der Debatte zur Tagesordnung stellte, war eine Gedenkminute für die Opfer des 11. September. Der Vorstoß hätte als unzulässig abgelehnt werden müssen, meint Schollbach: Weder sei es um kommunale Anliegen noch um Fragen der Geschäftsordnung gegangen. Orosz aber stellte den Antrag zur Abstimmung – der daraufhin eine Mehrheit erhielt. Dafür stimmten neben den Einreichern Abgeordnete von CDU, FDP und der Linksfraktion.PDS, einem von der Partei nicht mehr anerkannten »Spaltprodukt« der früheren PDS-Fraktion.

Deren Sprecherin Ingrid Mattern äußerte sich gestern äußerst zerknirscht: Sie habe sich im Dilemma zwischen dem »Prinzip, Nazi-Anträge immer abzulehnen«, und dem Wunsch, die Toten des 11. September zu würdigen, gefunden, sagt die Abgeordnete, die sich freilich wie die Mehrzahl der Stadträte enthielt – anders als mehrere ihrer Fraktionsmitglieder, die zustimmten. Bei der Schweigeminute verließen dann die Abgeordneten von Grünen und LINKER den Saal.

Während das Nationale Bündnis gestern frohlockte und mutmaßte, im Rathaus herrsche mit Orosz ein »neuer Wind« und ein »sachbezogenerer Umgang«, wurde anderswo gemahnt, zur bisherigen Gepflogenheit zurückzukehren und alle NB-Anträge abzulehnen. Man müsse »diesen demokratischen Konsens wieder herstellen«, sagte die Grüne Eva Jähnigen. Schollbach, der das Verhalten der Ratsmehrheit »politisch unsensibel und in jeder Hinsicht inakzeptabel« nennt, kündigte an, das Thema im Ältestenrat zu behandeln. Mattern räumte gestern ein, der Stadtrat »steht jetzt gelackmeiert da«.

Verärgerung herrscht im Rat nicht zuletzt darüber, dass auf den Vorstoß der Rechten augenscheinlich niemand gefasst war. Dabei sind Gedenktage seit jeher ein heikles Thema: Im sächsischen Landtag kam es im Januar 2005 zum Eklat, als die NPD eine Gedenkminute für die Bombenopfer in Dresden beantragte. Das Parlament gedachte daraufhin aller Opfer der NS-Gewaltherrschaft – zum Ärger der Rechtsextremen, die den Saal verließen. Der Vorfall im Dresdner Stadtrat wirkt nun wie eine späte Retourkutsche.

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