nd-aktuell.de / 17.09.2008 / Politik / Seite 3

Es war ein Justizmord!

Endlich freigegebene Akten im Fall Ethel und Julius Rosenberg bestätigen richterliche Willkür – und einen Verrat

Ronald Friedmann
Die US-Regierung hat überraschend die richterliche Anordnung nach Freigabe der Akten im Falle Ethel und Julius Rosenberg akzeptiert und am vergangenen Donnerstag die Dokumente veröffentlicht. Nunmehr kann eine jahrzehntelange Vermutung auch exakt bewiesen werden.
Der letzte Kuss – Ethel und Julius Rosenberg
Der letzte Kuss – Ethel und Julius Rosenberg

Anfang dieses Jahres, am 31. Januar, hatten das nichtstaatliche National Security Archive, verschiedene US-amerikanische Historikerorganisationen und Journalisten der »New York Times« vor einem Bundesgericht Klage eingereicht, um die Herausgabe der seit fast 60 Jahren geheimen Vernehmungsprotokolle aller 46 Zeugen zu erreichen, die zwischen August 1950 und März 1951 vor einer Grand Jury in New York im Verfahren gegen Ethel und Julius Rosenberg aussagten. Aufgabe dieser Grand Jury, zu deren Verhandlungen nach damaliger Gesetzeslage weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger zugelassen waren, war die Entscheidung darüber, ob die Staatsanwaltschaft ausreichende Beweise für eine Anklageerhebung hatte und ob überhaupt Anklage erhoben werden sollte.

43 Zeugen und 970 Aktenblätter

Am 26. Juni lehnte es die US-Regierung ab, die Aussagen der noch lebenden Zeugen und jener freizugeben, deren Tod nicht nachgewiesen werden konnte bzw. deren derzeitiger Aufenthaltsort nicht festzustellen war. Einen Monat später, am 22. Juli, ordnete Alvin Hellerstein, Bundesrichter mit Zuständigkeit für den New Yorker Gerichtsbezirk, in dem 1950/51 die Verhandlungen gegen die Rosenbergs stattgefunden hatten, daher zunächst die Herausgabe der Protokolle mit den Aussagen von jenen 36 Zeugen an, die verstorben sind oder der Veröffentlichung ausdrücklich zugestimmt hatten. Nach Einspruch der Kläger erweiterte der Richter am 26. August seine Entscheidung und verlangte nun von der US-Regierung, die Aussageprotokolle von 43 Zeugen aus der Verhandlung vor der Grand Jury zu veröffentlichen. Lediglich die Aussagen von drei noch lebenden Zeugen, die ihre Zustimmung verweigerten, dürften weiterhin unter Verschluss bleiben, darunter von David Greenglass, Bruder von Ethel Rosenberg und Schwager von Julius Rosenberg, neben seiner im April 2008 verstorbenen Ehefrau Ruth Greenglass Hauptzeuge der Anklage. Der Richter gab der US-Regierung zwei Monate Zeit, gegebenenfalls Widerspruch einzulegen. Diese verzichtete darauf.

970 Aktenseiten, die der strengsten Geheimhaltung unterlagen, sind nun für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie beweisen, was Historiker und Journalisten schon seit langem vermutet hatten: Ethel Rosenberg, die gemeinsam mit ihrem Mann Julius Rosenberg am 5. April 1951 wegen angeblicher Verschwörung und Atomspionage für die Sowjetunion zum Tode verurteilt und am 19. Juni 1953 im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl getötet wurde, war unschuldig. Julius Rosenberg hatte zwar jahrelang einen sehr erfolgreich arbeitenden Spionagering geführt, der dem sowjetischen Geheimdienst bedeutende wissenschaftlich-technologische Informationen lieferte; er war jedoch nur am Rande mit Atomspionage befasst, so dass auch das Todesurteil gegen ihn – selbst nach damaligem US-Recht – keinesfalls gerechtfertigt war.

1944 hatten die US-Geheimdienste im Rahmen des sogenannten Venona-Projekts begonnen, den kodierten Nachrichtenverkehr der sowjetischen Vertretungen in den USA zu entschlüsseln und waren dabei sehr schnell zu beachtlichen Erfolgen gekommen: Insgesamt konnten etwa 2200 Funksprüche – zumindest teilweise – entschlüsselt werden. Das Venona-Projekt galt als das größte Geheimnis des Kalten Kriegs. Seine Existenz und seine Ergebnisse wurden erst 1995 offiziell bekanntgegeben, obwohl die Sowjetunion spätestens 1949 vom verheerenden Einbruch in ihren Nachrichtenverkehr erfahren hatte.

Die Verhaftung des Kuriers

Durch das Venona-Projekt kam das FBI u. a. auf die Spur von Klaus Fuchs und Ted Hall, die zwischen 1944 und 1946 aus Los Alamos, dem Herzstück des US-amerikanischen Manhattan-Projekts zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe, zahlreiche und äußerst detaillierte Informationen an den sowjetischen Geheimdienst geliefert hatten. Es konnten auch Funksprüche entschlüsselt werden, die auf den Spionagering von Julius Rosenberg hinwiesen, ohne jedoch diesen schon namhaft zu machen.

Erst die Verhaftung von Harry Gold, dem Kurier, der für den sowjetischen Geheimdienst den Kontakt zu Fuchs in den USA aufrechthielt, brachte den entscheidenden Hinweis, der letztlich auch zur Festnahme von Julius Rosenberg führte. Aus eigenem Antrieb und ohne Not hatte Gold dem FBI unmittelbar nach seiner Verhaftung im Juni 1950 gestanden, dass er bei seiner Reise im Juni 1945 nach New Mexico – dem Bundesstaat der USA, in dem Los Alamos liegt – nicht nur Kontakt mit Fuchs hatte. Gold traf in einer Privatwohnung in Albuquerque auch auftragsgemäß einen Angehörigen der US-Streitkräfte, der als Maschinenarbeiter in einer Werkstatt in Los Alamos arbeitete und ihm ebenfalls Informationen über die in der Entwicklung befindliche US-Atombombe übergab. Sehr schnell konnte das FBI nun ermitteln, dass es sich hier um David Greenglass handelte.

Tatsächlich hatte Julius Rosenberg seine Schwägerin Ruth Greenglass im November 1944 im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes aufgefordert, ihren Ehemann dafür zu gewinnen, Informationen über Los Alamos und die Ergebnisse der dortigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an die sowjetische Seite weiterzugeben. Bei drei Gelegenheiten lieferte David Greenglass Informationen: Anfang Dezember 1944, als seine Frau ihn in Albuquerque besuchte und faktisch als Spion anwarb, übergab er ihr eine Beschreibung der Einrichtungen von Los Alamos und eine Liste mit den Namen einiger ihm bekannter Wissenschaftler. Im Januar 1945, bei einem längeren Urlaub in New York, vermachte er Julius Rosenberg mehrere Seiten mit handschriftlichen Notizen, die von Ruth Greenglass angefertigt worden waren, die die für andere kaum zu entziffernde Handschrift ihres Ehemannes gut lesen konnte. Bei gleicher Gelegenheit traf dieser sich, durch Vermittlung von Julius Rosenberg, noch mit einem hochrangigen sowjetischen Geheimdienstoffizier, der jedoch feststellen musste, dass Greenglass auf Grund seiner geringen wissenschaftlichen Qualifikation und seiner niedrigen Position in Los Alamaos kaum in der Lage war, die von Moskau gewünschten Fragen zu beantworten. Und schließlich übergab Greenglass im Juni 1945 beim bereits erwähnten Zusammentreffen mit Gold Materialien.

Belastet vom eigenen Bruder und Schwager

Unmittelbar nach seiner Verhaftung am 15. Juni 1950 legte Greenglass gegenüber dem FBI ein umfassendes Geständnis ab, bei dem er seine Frau und vor allem Julius Rosenberg massiv belastete. Ruth Greenglass, die zwar vom FBI mehrfach verhört, aber niemals verhaftet wurde, bestätigte die Aussage ihres Mannes und wiederholte ihre eigene vor der Grand Jury. Ethel Rosenberg wurde durch diese frühen Aussagen ihres Bruders und ihrer Schwägerin nur insoweit belastet, als dass sie bei einigen der einschlägigen Gespräche ihres Mannes mit David und Ruth Greenglass zugegen war.

Die US-Behörden waren denn auch von Anfang an davon überzeugt, dass Ethel Rosenberg zwar von der geheimen Tätigkeit ihres Mannes wusste, aber darin selbst nicht aktiv einbezogen war. Dafür sprach allein schon die durch das Venona-Projekt bekannte Tatsache, dass es im geheimen Funkverkehr des sowjetischen Geheimdienstes zwar einen Decknamen für Julius Rosenberg gab (zunächst »Antenna«, dann »Liberal«), nicht aber für seine Frau. So wurde Ethel Rosenberg auch erst am 11. August 1950, also knapp zwei Monate nach ihrem Mann, verhaftet – um ihren Mann unter Druck zu setzen und ihn zu einem Geständnis zu veranlassen, auf dessen Grundlage weitere Prozesse gegen Personen möglich gewesen wären, die durch das Venona-Projekt zwar enttarnt waren, gegen die es aber keine gerichtsverwertbaren Beweise gab.

Die einzigen Beweise gegen Ethel Rosenberg, die bei der Hauptverhandlung vom 6. bis 28. März 1951 dann von der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurden, waren die Aussagen von David und Ruth Greenglass, die nun plötzlich auch Ethel Rosenberg umfassend belasteten. Nach diesen neuen Aussagen habe sie eine entscheidende Rolle bei der Anwerbung von David Greenglass und der Übermittlung von Atomgeheimnissen an den sowjetischen Geheimdienst geleistet, in dem sie angeblich die handschriftlichen Notizen ihres Bruders mit der Schreibmaschine abgeschrieben habe. Obwohl die US-Behörden aus den entschlüsselten sowjetischen Funksprüchen wussten, dass die von Greenglass stammenden Informationen handschriftlich nach Moskau übermittelt wurden, reichte diese Behauptung für das Todesurteil auch gegen Ethel Rosenberg, die während der gesamten Verhandlung – wie auch Julius Rosenberg – konsequent jede Schuld bestritt. Die Kooperation der Greenglass' wurde belohnt: David Greenglass wurde zu einer Haftstrafe von nur 15 Jahren verurteilt, von denen er etwas mehr als zehn Jahre verbüßen musste; gegen Ruth Greenglass wurde keine Anklage erhoben; sie musste nicht einen Tag in Haft verbringen.

Ein weiteres Opfer des Rosenberg-Prozesses war der Mitangeklagte Morton Sobell, der zwar – was der nunmehr 91-Jährige in einem Zeitungsinterview vergangene Woche bestätigte – zum Spionagering um Julius Rosenberg gehört hatte, aber nicht einmal indirekt in die Atomspionage verwickelt war. Er wurde als Mitverschwörer zu 30 Jahren Haft verurteilt, von denen er 19 Jahre verbüßen musste. Auch für ihn gilt, dass die Schwere der ihm vorgeworfenen Taten und die gegen ihn verhängte Strafe in keinerlei Verhältnis standen.

David Greenglass, jetzt 86 Jahre alt, hat bereits vor mehr als zehn Jahren in einem Interview zugegeben, vor Gericht gelogen und damit die Grundlage für das Todesurteil gegen die Rosenbergs gelegt zu haben. Letztlich indes nimmt dieses Bekenntnis nichts von der Blutschuld der US-Behörden. Sie waren es, die Ethel und Julius Rosenberg zum Tode verurteilten und hinrichten ließen.

Die Akten der Grand Jury sind auf der Internetseite des National Security Archive veröffentlicht:www.gwu.edu/~nsarchiv/index.html.[1]

Der Historiker Ronald Friedmann ist Autor einer Klaus-Fuchs- und einer Gerhart-Eisler-Biografie; im kommenden Jahr erscheint von ihm ein Buch über Arthur Ewert.

Links:

  1. http://www.gwu.edu/~nsarchiv/index.html.