Rot-rote Koalitionen in Tschechien?

Bei den Regional- und Senatswahlen drohen der Regierungspartei ODS herbe Verluste

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 17. und 18. Oktober wird in fast allen tschechischen Bezirken und ein Teil des Senats gewählt. Die in Prag regierenden Bürgerlichen Demokraten (ODS) könnten dabei ihre Führungsrolle verlieren. Schon setzen Spekulationen über neue Koalitionsmodelle ein. Die Sozialdemokraten etwa schließen auch ein Zusammengehen mit den Kommunisten nicht mehr aus – was sie in der Vergangenheit entschieden abgelehnt hatten.

Die in 13 der 14 tschechischen Bezirke – einschließlich der Hauptstadt Prag – regierende ODS muss bei der Wahl in diesem Jahr um ihre Dominanz fürchten. Auch im Senat, der zweiten Parlamentskammer, wo ein Drittel der 81 Sitze neu besetzt werden, könnte die Mehrheit der Bürgerpartei verloren gehen – zur Zeit hält sie 41 Mandate, die sozialdemokratische CSSD 13. Die tschechischen Kommunisten stellen keinen Senator.

Nach jüngsten Umfragen gibt es ein Patt zwischen der rechtsliberalen ODS und den Sozialdemokraten. Glaubt man den Meinungsforschern, würden 28,5 Prozent der Stimmberechtigten für die ODS und ebenso viele für die CSSD votieren. Die Kommunistische Partei (KSCM) wird mit 16 Prozent auf Rang drei erwartet. Acht von hundert Wählern würden demnach für die Christdemokraten, sieben für die Grünen stimmen. Bei den Wahlen vor vier Jahren lagen die Bürgerlichen weit vorn. Damals erreichte die ODS 36 Prozent, die Kommunisten kamen mit einem Fünftel der Stimmen auf Rang zwei. Nur 15 Prozent konnten die Sozialdemokraten für sich verbuchen.

Wie der mittelböhmische Bezirkshauptmann Petr Bendl denken einige ODS-Politiker schon über große Koalitionen nach. Er könne sich eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten vorstellen, sagte Bendl auf einer Wahlkundgebung in Kladno. Der dortige CSSD-Chef David Rath lehnt das jedoch ab. Im mittelböhmischen Kopf-an-Kopf-Rennen ließ die CSSD ihre 30 Kandidaten sogar ein Papier unterschreiben, wonach sie Wahlkampfkosten in Höhe von vier Millionen Kronen (163 432 Euro) zurückzahlen müssten, wenn sie »überlaufen« würden. Was mögliche Koalitionen anbetrifft, hält sich Rath bedeckt. »Man wird am Wahlabend sehen, wie die Verhältnisse sind. Ich kann mir eine Reihe von Koalitionspartnern vorstellen, aber sicher nicht die ODS und auch nicht die Kommunisten«, erklärte der frühere Gesundheitsminister.

Dass dies auf nationaler Ebene anders gesehen wird, machte der Parteivorsitzende Jiri Paroubek klar. Angesichts der »Affäre Tlusty« – der Bestechungsskandal um ominöse Fotos des Parlamentsabgeordneten – kündigte der Chef der Sozialdemokraten ein Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Mirek Topolanek für die Zeit nach den Regionalwahlen an. Dazu braucht er die Stimmen der kommunistischen Abgeordneten. Der KSCM-Fraktionsvorsitzende Pavel Kovacik hat bereits Kooperation signalisiert. »Uns verbindet nichts mit der Regierung der ODS. Es gibt also keinen Grund, die Sozialdemokraten in dieser Frage nicht zu unterstützen.«

Auch mit Blick auf die Regionalwahlen sind die tschechischen Kommunisten optimistisch. »Wir haben ein gutes Programm für die Politik auf regionaler und kommunaler Ebene, wir können also beruhigt abwarten, wie die Wähler in dieser Woche entscheiden werden«, sagte der Generalsekretär der KSCM, Vojtech Filip, im tschechischen Fernsehen. Denkbar seien auch Koalitionen mit den Sozialdemokraten und den Grünen.

Vor allem in den mährischen Bezirken wird ein deutlicher Wahlerfolg sowohl der Sozialdemokraten als auch der Kommunisten erwartet. »Ich gehe davon aus, dass in den Industrieregionen Nordmährens die CSSD und die KSCM Koalitionen bilden werden«, meint denn auch Verkehrsminister Ales Rebicek (ODS). In etlichen anderen Regionen prognostiziert er dagegen Koalitionen zwischen seiner Partei und den Sozialdemokraten. Trotz des zu erwartenden Stimmenrückgangs für die ODS riet der Minister zur Gelassenheit.

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