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Neue Ära staatlicher Eingriffe

Finanzmarktexperte Peter Wahl fordert globale Millionärssteuer / Die großen Industrieländer wollen ihre Programme gegen die Finanzkrise koordinieren

  • Lesedauer: 4 Min.
Die großen Industrieländer wollen ihre Programme gegen die Finanzkrise koordinieren: Neue Ära staatlicher Eingriffe

ND: Werden die Aktionspläne und Koordinationsversprechen von G7 sowie IWF und Weltbank die Welt aus der Finanzkrise führen?
Wahl: Alle großen Länder haben ihr eigenes Konzept zur Krisenbekämpfung. Eine kollektive Vorgehensweise jenseits von Absprachen über Zinssenkungen und Kapitalspritzen gibt es derzeit nicht. In der gegenwärtigen Situation läuft eine Zusammenarbeit leicht darauf hinaus, die Krisenlasten auf andere abzuwälzen. Zum Beispiel ist es eine durchsichtige Strategie der USA, jetzt ihre Partner mit einzubeziehen. Gleichwohl ist ein bestimmtes Maß an Koordination sinnvoll. Der IWF erhofft sich von seinem Appell, selbst in die Rolle des Koordinators zu schlüpfen. Der Währungsfonds hat drastisch an Bedeutung verloren und will sich als globale Regulierungsinstanz wieder ins Gespräch bringen.

Was halten Sie von dem Vorschlag des IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn, aus dem IWF eine Art Superbehörde zu machen, die künftig regulierend in den Markt eingreifen soll?
Das wäre dann ein sinnvoller Vorschlag, wenn der IWF an Haupt und Gliedern gründlich reformiert werden würde. Dringend nötig ist seine Demokratisierung. Im Moment ist der IWF ein Instrument der USA. Noch immer gilt das Prinzip »ein Dollar – eine Stimme« statt dem Prinzip »ein Land – eine Stimme«. Zudem muss das neoliberale Leitbild, das der Fonds bis jetzt verfolgt hat, revidiert werden.

Was denken Sie, wenn Sie die großen Liberalisierungsverfechter wie den IWF und die Weltbank nun von staatlichen Eingriffen sprechen hören?
Der IWF war 20 Jahre lang der Vorreiter des neoliberalen Kurses, der jetzt in den Abgrund geführt hat. Allerdings hat bereits vor dem Crash ein Umdenken eingesetzt. Die Entwicklungsländer haben gesehen, dass die Rezepte des IWF nicht erfolgreich waren. Zudem ist mit Strauss-Kahn jemand an die Spitze gekommen, der aus der Tradition des französischen Etatismus kommt, der also Staatseingriffe in die Wirtschaft nicht per se für Teufelszeug hält. Strauss-Kahn hatte 1999 mit dem damaligen Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine die Idee von Währungskorridoren vorgeschlagen. Er ist jemand, der durchaus glaubwürdig einen Wandel einleiten könnte.

Sie glauben also, dass über das Krisenmanagement hinaus derzeit ein grundsätzliches Umdenken stattfindet?
Eine ganze Reihe von Leuten haben jetzt verstanden, dass dieses System des Casino-Kapitalismus am Ende ist. Es beginnt eine neue Ära, in der politische Eingriffe und staatliche Regulierung wieder bedeutend stärker sein werden.

Wie müssten IWF und Weltbank in der Krisensituation handeln?
Wir fordern einen Nothilfefonds für arme Länder. Auch auf der IWF-Tagung am Wochenende wurde darüber nachgedacht. Allerdings will der IWF diesen Fonds aus den Währungsreserven speisen. Unser Vorschlag ist, dass die Gewinner des Casinos der letzten Jahrzehnte zur Kasse gebeten werden – über eine Millionärssteuer, eine einmalige Abgabe von 0,7 Prozent auf alle Kapitalvermögen von mindestens einer Million Dollar. Damit unterscheiden wir uns sehr deutlich von IWF und Weltbank. Generell ist es aber richtig, die Krisenfolgen für arme Länder abzupuffern. Es muss auch Schluss mit den Strukturanpassungsmaßnahmen gemacht werden, also mit jener Politik, die das neoliberale Modell den Entwicklungsländern aufgezwungen hat.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Industriestaaten im Zuge der Krise ihre Hilfen für die Länder des Südens nach unten schrauben?
Das ist eine realistische Gefahr. Deshalb muss man entgegensteuern und gerade nicht die Währungsreserven des IWF angreifen. Es muss dort angesetzt werden, wo das Geld nach wie vor in horrendem Maße vorhanden ist.

Inwiefern werden auch die Entwicklungsländer längerfristig von der Krise betroffen sein?
Es wird problematisch, wenn die Krise auf die Realwirtschaft übergreift. Bei einem Konjunktureinbruch und einer weltweiten Rezession wird die Nachfrage aus den Industrieländern abnehmen. Damit können die Entwicklungsländer weniger verkaufen, ihre Exporte und ihre Einnahmen werden zurückgehen. Außerdem werden die Investitionen in ärmere Länder sinken. Hinzu kommt noch die Berg- und Talfahrt der Rohstoffpreise. Immer noch sind die Preise für Nahrungsmittel und Öl viel zu hoch, was viele Entwicklungsländer besonders stark trifft.

Fragen: Susanne Götze

Peter Wahl ist Mitarbeiter der Nord-Süd-Organisation WEED und Mitbegründer von Attac Deutschland.


G7-Aktionsplan
Der Aktionsplan der Finanzmister und Notenbankchefs der G7 umfasst fünf Punkte:

1. Einsatz aller vorhandenen Instrumente, um »systemisch wichtige Finanzinstitutionen« zu unterstützen.

2. Ergreifen notwendiger Maßnahmen, um die Kreditklemme zu beheben und Banken breiten Zugang zu Liquidität zu ermöglichen.

3. Sicherstellung, dass Finanzinstitute Kapital von staatlichen und privaten Quellen im notwendigen Umfang aufnehmen können, um Vertrauen wiederherzustellen und es zu ermöglichen, Kredite an Privathaushalte und Unternehmen fortzusetzen.

4. Sicherstellung einer robusten nationalen Einlagensicherung und von Garantieprogrammen, um das Vertrauen in die Sicherheit der Einlagen zu erhalten.

5. Maßnahmen zum Neustart des Sekundärmarktes für Hypotheken und andere verbriefte Werte durch angemessene Bewertung und Einführung von hochqualitativen Bilanzierungsstandards. KSt

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