Das Dunkle, das Helle

Nâzim Hikmet in einer zweisprachigen Ausgabe

  • Matthias Biskupek
  • Lesedauer: 3 Min.

» ... mit dreißig sollte ich aufgehängt werden / mit achtundvierzig die Friedensmedaille verliehen bekommen / und bekam sie dann auch / mit sechsunddreißig querte ich ein hal-bes Jahr lang vier Quadratmeter Beton / mit neunundfünfzig flog ich in achtzehn Stunden von Paris nach Havanna ...«

Es gibt Dichter, deren Namen kennt man, doch wenig weiß man von deren Werk. Nâzim Hikmet war für meine Generation in der DDR ein solcher Name – wenn es um Frieden, Kampf gegen den Imperialismus, weltweite Solidarität ging, wurde er genannt. Der Mann war als Kommunist jahrelang in der Türkei eingesperrt; ein Dichter im Kerker – gruselige Vorstellung für uns Kinder. Hikmet lebte dann in der Sowjetunion – und war oft in der ihn ehrenden DDR zu Besuch.

Seit der Lektüre des repräsentativen zweisprachigen Bandes »Hasretlerin Adi / Die Namen der Sehnsucht« weiß ich, dass meine bisherige Vorstellung nur einen Teil, einen Bruchteil von diesem Dichter umfasst, den ich jetzt Nâzim nenne. Die Nachwortautorin und Nachdichterin Gisela Kraft erklärt, warum er bei seinen Verehrern in der Türkei so heißt – und auch von ihr so genannt werden darf. Denn um diesen Dichter zu begreifen, muss man sich etwas kundig machen. Gewiss sind manche seiner Verse in Deutsch von fast makelloser, dennoch befremdender Schönheit: »Dies Herz ist keine Birne, die vom Stiel bricht«. Oder sie muten archaisch-unkorrekt an: »Blitzblonde Mädels / in dieser Stadt des Abendlandes / laufen in unseren offenen Latschen herum.« (Leipzig, 30. Juni 1959). Aber vom vokalreichen türkischen Vers, vom orientalischen Überreichtum – man könnte von Wiederholungslust sprechen – ist es ein weiter Weg zur angemessen kurzen deutschen Strophe. Auch sollte man Wladimir Majakowski kennen, dessen wuchtigen, treppenförmig abgestuften Vers.

Also muss man zunächst Sekundärliteratur lesen? – Nein, dieses Buch hat den Vorteil, durch immerhin fünfzig Seiten Anhang (inklusive Nachwort und Bildteil) Leben und Werk so auszubreiten, dass man gern darin herumspaziert. Man ist versucht, den deutschen Vers auf der rechten Seite mit dem türkischen auf der linken zu vergleichen – aha: so könnte das klingen. Vielleicht doch anders, als Ayshe und Mehmet in der Berliner S-Bahn miteinander reden? »Schabracke« und »Ketzerfüße«, »Stahlkind« und »krummästig« – wie seltsam stoßen sich hier Wörter. Belehrt durch das Nachwort aber weiß ich, dass Deutsch und Türkisch nach sehr verschiedenen Bauplänen funktionieren: Was da Adjektiv ist, kann hier ellenlanger Nebensatz sein.

Vielleicht ist es ein Hauptspaß, sich diesen Versen formal zu nähern, obwohl sie nicht verrätselt sind und kaum hermetisch? Das Dunkle und das Helle sind deutlich geschieden und wenn Nâzim von seiner Liebe zu Pirâye, zu Münnevver, zu Vera spricht, spürt man: Ein Poet ist ein Poet ist ein Poet.

Die Herausgeberin hat den Band in fünf zeitlich eingegrenzte Kapitel geordnet, dazwischen geschoben »Das Epos vom Scheich Bedreddin, Sohn des Richters von Simavre«, 1933 geschrieben, während Nâzim das zweite Mal – für drei Jahre – in Haft war. Seine »schon bald beliebteste Dichtung« erzählt von einer Erhebung der Anatolier im 15. Jahrhundert gegen die osmanische Herrschaft.

Ein Nationaldichter, dessen Verehrung auch dem Nationalisten und Modernisierer, Kemal Atatürk, galt. Die Herausgeberin spart fragwürdige Stellen in diesem Leben nicht aus. Wo blieb sein Mitleiden mit den Kurden? Warum seine blinde Sowjetunion-Verehrung? Die er allerdings mit vielen revolutionstrunkenen Dichtern seiner Zeit teilte, von Éluard bis Neruda.

Vor allem aber bleibt aus diesem Buch der tiefe Eindruck eines formstarken Traditionalisten, der die Moderne beflügelte: »Meinetwegen / Lies uns nicht noch versteh / Unser Herz das heißläuft wie ein ungeöltes Wellenlager ...«

Nâzim Hikmet: Hasretlerin Adi – Die Namen der Sehnsucht. Gedichte. Türkisch und Deutsch. Ausgewählt, nachgedichtet und mit einem Nachwort von Gisela Kraft. Ammann Verlag. 360 S., geb., 29,90 EUR.

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