Ich hätte früher gehen sollen

Michael Wendl über seinen SPD-Austritt

  • Lesedauer: 2 Min.

ND: Sie haben im September nach 36-jähriger Mitgliedschaft die SPD verlassen und sind der LINKEN beigetreten. Warum dieser Schritt?
Wendl: Ausschlaggebend war die Ablösung von Kurt Beck an der Parteispitze. Ich fand den Vorgang von der Form her nicht mehr akzeptabel, aber auch die damit ausgelöste politische Richtungsänderung fand ich persönlich nicht mehr tragbar. Ich hätte eigentlich schon gehen sollen, als die Agenda 2010 umgesetzt worden ist. Ich hatte damals noch die Hoffnung, dass die SPD sich davon wieder distanziert. Der Übergang zu Müntefering bedeutet aber das Gegenteil.

Und das Fatale an der Agenda 2010 ist, dass die SPD eine zeitliche Reihenfolge mit einer sozialen Kausalität verwechselt. Die Agenda trat vor dem Konjunkturaufschwung 2006 in Kraft. Jeder Sozialwissenschaftler weiß, dass eine zeitliche Reihenfolge keine soziale Kausalität ist. Dass man in der SPD so primitiv denkt, ist im Grunde beleidigend für jeden Menschen, der gründlicher nachdenkt.

Ist die Krise der SPD auch eine intellektuelle Krise? Fehlen der Partei die Visionäre?
Es ist sicher auch eine intellektuelle Krise, auch weil der SPD die Intellektuellen ausgegangen sind. Ich denke da an meinen politischen Weggefährten Peter von Oertzen. Irgendwann hat er das nicht mehr ertragen und ist ausgetreten. Ich bin entsprechend später ausgetreten. Ich glaube, dass es für Intellektuelle ganz schwer ist, diese Partei noch zu ertragen. Und da, finde ich, herrscht in der LINKEN ein anderes Klima. Meine Kritik an den Sozialdemokraten ist, dass sie mit der Primitivität ihres Denkens erfolgreich sind. Franz Müntefering ist ein ausgesprochen dummer Mensch, entschuldigen Sie, wenn ich das sage. Und dass er so viel Erfolg hat, ist die Provokation.

Handelt die SPD-Führung gegen den Willen der Basis, die oft weiter links zu stehen scheint als Steinbrück und Co.?
Es haben ja einige Hunderttausend Mitglieder die SPD verlassen. Das ist der eine Prozess. Und der zweite Prozess ist, dass die Willensbildung an der Mitgliederbasis mit der Politik der SPD auf der Bundesebene eigentlich nichts mehr zu tun hat. Aus meiner eigenen Erfahrung – ich bin ja noch gelegentlich zu den Sitzungen meines Ortsvereins gegangen – ist die SPD an der Basis sozialer und damit linker eingestellt als die Parteiführung. Aber die Einflussmöglichkeiten sind nahe null. Die Stimmung an der Basis ist nicht gut, aber die Leute, die noch aktiv am Parteileben teilnehmen, haben sich im Grunde damit arrangiert.

Fragen: Fabian Lambeck

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