nd-aktuell.de / 18.10.2008 / Kommentare / Seite 1

In den Abgrund

Otto Köhler

Im Jahr Eins nach dem Ereignis, das manche immer noch »Wiedervereinigung« nennen, nahm »Deutschlands klügster Kopf« (»Bild«), der Westberliner Professor Arnulf Baring, Stellung zu den Menschen, die da neu hinzu gekommen waren: Nichts als »Schönfärberei« betreibe, wer da meine, wir könnten »doch nicht Hunderttausenden von Leuten sagen, sie seien nichts wert«. Man dürfe ihnen nicht verschweigen, dass sie nichts taugen. Zu retten ist da nichts, die Leute drüben sind »verzwergt«, sie sind »verhunzt«. Baring über das minderwertige ostdeutsche Menschenmaterial: »Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar.« Denn: »Die Universitäten waren weitgehend keine Universitäten, die Schulen keine Schulen« – die Leute haben einfach nichts im Kopf: »Viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar.«

Die unfähigen Leute im Osten sind inzwischen abgewickelt, die zu allem fähigen Menschen aus dem Westen drängten in ihre Positionen, das Land blühte auf. Insbesondere westdeutsche Finanzfachleute – von Geld haben die Ossis einfach keine Ahnung – führten auf den richtigen Weg. Einer von ihnen, der Finanzfachmann Professor Georg Milbradt, wurde Finanzminister, Ministerpräsident gar und hat mit seinem den Ossis überlegenen Wissen die Sächsische Landesbank gegründet, auf dass seine aus dem Westen berufenen Banker mit verbrieften Wertpapieren das Vermögen der Sachsen in London verzockten.

Die Gaunerei, die sie betrieben, nennt sich Investment Banking. Und weil die Ossis so unfähig und verhunzt waren, berief die Technische Universität in Chemnitz den Wessi Friedrich Thießen zum Professor für Finanzwirtschaft. Der trat kürzlich mit der Wissenschaft hervor, dass 132 Euro für einen Hartz-IV-Empfänger genug seien. Vor allem aber begründete er 2002 die – wie die TU stolz mitteilt – »deutschlandweit erste Studienrichtung Investment Banking«, die von der Commerzbank großzügig gesponsort wird.

Inzwischen hat Deutschland, hat die Welt in den Abgrund geschaut, den das Investment Banking verursacht hat. Doch kommenden Mittwoch lädt eine Elite westdeutscher Banker an Thießens Lehrstuhl zu einem dreitägigen »Intensivkurs Investment Banking« ein, bei dem Interessierte nach einer Klausur einen (Freifahrt-)Schein »Investment Banking« erwerben können. Und dann, mit den neuen Menschen, die gelernt haben, wie Investment Banking richtig geht, wird alles wieder gut. Und auch Angela Merkel und Peer Steinbrück können endlich wieder ruhig schlafen.

Der Kampf gegen die verhunzten und unfähigen Menschen machte in Ostdeutschland nicht Halt. Stolz präsentiert die Universität Chemnitz auf ihrer Website noch immer den Dankesbrief einer ehemaligen Studentin aus der Mongolei, die bei Professor Thießen Investment Banking lernte und bei ihm ihr Examen machte. »In meinem Land überschlagen sich die Dinge. Überall ist der Aufbruch zu spüren.« Der Brief der Chemnitzer Examinandin über ihr »Investmentbanking in der Steppe« trägt kein Datum, ganz neu wird er nicht sein.

Gott hat Sachsen nicht geschützt, er schütze wenigstens die Mongolei.