Computer bremsen Kreativität

ND sprach mit Anatoli Karpow über die WM und den Weltschachbund

  • Lesedauer: 3 Min.
Die sowjetisch-russische Schachlegende Anatoli Karpow (57) war zwei Tage Ehrengast beim WM-Duell Anand - Kramnik in Bonn. Karpow hatte den »klassischen« Titel von 1975 bis 1985 inne (verlor ihn an Garri Kasparow) und war von 1993 bis 1999 FIDE-Weltmeister.
Ex-Champion Anatoli Karpow (l.), Match-Direktor Josef Resch
Ex-Champion Anatoli Karpow (l.), Match-Direktor Josef Resch

ND: Wie bewerten Sie das Niveau der Schach-WM in Bonn?
Karpow: Es ist mit früheren WM-Kämpfen nicht vergleichbar. Die Eröffnungstheorie wurde viel komplexer, die Bedenkzeit sehr verkürzt, und Computer haben ungeheuren Einfluss auf die Spielweise der Spitzenleute. Dadurch geht viel Kreativität verloren. Das war zu meiner Zeit anders. In den WM-Duellen gegen Kortschnoi oder Kasparow lösten wir die Probleme vorwiegend im harten Fight am Schachbrett, nicht zu Hause mit dem Rechner.

Wie schätzen Sie Kramniks Aussichten nach seinem überraschendem 3-Punkte-Rückstand ein?
Seit dem letzten Desaster ziemlich hoffnungslos. Doch bei Halbzeit des Matchs hat jeder WM-Finalist noch seine Chance. Anand ist noch nicht am Ziel, glaube ich.

Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schnell so ein Duell um die Schachkrone auch mal kippen kann. 1986 habe ich in Leningrad gegen Kasparow eine seltene Serie hingelegt und drei WM-Partien hintereinander gewonnen. Ob Kramnik das jedoch gegen Anand schafft, ist mehr als fraglich.

Also, seine Aufgabe ist so gut wie unlösbar?
Sie ist extrem schwierig, weil er jetzt einen Spagat hinlegen muss. Einerseits darf er die Ereignisse auf dem Brett nicht forcieren, so wie zuletzt, wenn die Stellungen scharf und chaotisch sind. Denn die Taktik ist Anands Territorium. Kramnik muss sich auf seine Stärke, das strategische Spiel, besinnen und aus einer sicheren Verteidigung heraus agieren. Wenn er andererseits nur abwartet und gar nichts tut, dann ist sein Traum vom WM-Titel wohl endgültig geplatzt.

Haben Kramniks Sekundanten schlecht gearbeitet? Sollte er seine Eröffnungen wechseln?
Das ist nicht so einfach. Anand hat bisher große Stärke gezeigt und immer neue Wege gefunden, in Kramniks vorbereitete Varianten zu kommen. Der Inder scheint sehr gut präpariert zu sein; er nutzt seine Chancen resolut und clever.

Der Präsident des Weltschachbundes Kirsan Iljumschinow war nicht zur WM-Eröffnung in Bonn. Wissen Sie, warum?
Er ist ja auch Präsident Kalmückiens und deshalb derzeit in Russland wegen der weltweiten Finanzkrise politisch unabkömmlich, heißt es.

Die Führungsriege des Weltschachbundes ist seit Langem die alte. Es gibt noch immer kein einheitliches WM-Reglement. Ist die Zeit reif für Veränderungen?
Sicher. Ich bin für die klassische Linie und will keine Experimente mehr: Kandidatenturniere – WM-Match – Punkt. FIDE-Präsident Iljumschinow hat keine guten Berater und trifft manchmal falsche Entscheidungen. Er braucht echte Schachprofis als Ratgeber. Die jetzigen Seilschaften denken nur an ihren Vorteil und verstehen zu wenig vom Schach. Darum dümpelt der Verband vor sich hin. Er muss dringend erneuert werden.

Haben Sie keine Ambitionen, Präsident der FIDE zu werden?
Nein, derzeit ist das für mich kein Thema. Neuwahlen sind aber erst in zwei Jahren. Fragen Sie mich dann noch einmal.

In Bonn mussten Anand und Kramnik nach der 6. WM-Partie zur Dopingkontrolle. Macht so etwas überhaupt Sinn im Schach?
Es ist völliger Quatsch. Die Föderation will unbedingt, dass Schach olympisch wird, darum diese Geste. Wir sind aber keine Bewegungssportart. Und Aufputschmittel helfen einem Großmeister nicht, besser zu denken.

Interview: Dagobert Kohlmeyer

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