McCains Eigentor heißt Sarah

Vizepräsidentschaftskandidatin Palin erweist sich im USA-Wahlkampf als Belastung

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wahl der Gouverneurin von Alaska zur Kandidatin für das Amt des USA-Vizepräsidenten hat den Republikanern nicht den erhofften Aufschwung gebracht.

Was war das in den USA für eine Aufregung! Die Schwarzen Montage, Dienstage und Freitage für die Börse, Banken und Regierung standen noch aus, und der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, John McCain, hatte soeben die Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, völlig überraschend zur Vize für den Kampf ums Weiße Haus ernannt. Die fünffache Mutter, bekennende Jägerin und selbst erklärte Sauberfrau vom Lande, die »nicht mit der Washington-Herde« laufe, sondern ein Leben in »Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Würde« vorziehe, kannte außerhalb ihres Bundesstaates kein Mensch. McCains Coup schien gelungen. Die Brünette sollte ihm Glück und Wähler bringen – vor allem von der religiösen Rechten und aus den Reihen weißer Mütter, die Hillary Clinton, niemals aber Barack Obama, den dunkelhäutigen Anwärter der Demokraten, wählen würden.

Acht Wochen später und 14 Tage vor der Wahl ist nicht nur der Kasino-Kapitalismus »Made in USA« zu neuer Kenntlichkeit gekommen, sondern auch McCains Coup namens Sarah geplatzt. Die akute Kapitalismuskrise überstrahlt alle anderen Einzelentwicklungen des Wahlkampfes, und Senator McCain, der in den acht Bush-Jahren in 90 Prozent aller Fälle auf den Positionen seines Präsidenten lag, wird für das Fiasko an Tigris, am Hindukusch und in der Wall Street mitverantwortlich gemacht. Doch auch sein Entscheid, die Frau aus dem Hohen Norden an seine Seite zu holen, entfaltet nun eine Sprengkraft, die sich nicht im Lager des Gegners, sondern für das eigene Fortune austobt. Die Frau für die Attacke wurde zum Bumerang, die Hoffnungsträgerin zur Zeitbombe, der zuletzt wachsende Umfragenvorsprung Obamas ein Phänomen, an dem der Faktor Palin Anteil hat. Zum einen entpuppte sich das Politschneewittchen als weniger makellos als verheißen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Alaska, im Verhältnis 10:3 mit republikanischen Parteifreunden besetzt, zog nach Ermittlungen um eine von der Regierungschefin Alaskas betriebene fragwürdige Entlassung eines Landespolizisten den Schluss: »Gouverneurin Sarah Palin missbrauchte ihre Macht.«

Die von ihr mehrfach auf Wahlkampfkundgebungen behauptete, gänzlich unbewiesene Nähe Obamas zu einstigen linksradikalen Terroristen erzeugte Anfänge einer Lynchstimmung – Zuhörer schrien bei Nennung des Namens Obama »Verräter«, »Terrorist«, sogar »Tötet ihn!« –, so dass der Geheimdienst wegen Todesdrohungen ermitteln und McCain seinen Rivalen vor eigenen Anhängern in Schutz nehmen musste. Kaum kaschierte rassistische Unterstellungen, wonach Barack Obama irgendwie »unamerikanisch« und »nicht wie wir« Weiße in den USA sei, waren in der Kampagne freilich nicht allein von Sarah Palin gemacht worden.

Mehrere Fernsehinterviews zeigten die Vize-Kandidatin als eine selbst für US-amerikanische Verhältnisse unfassbar politisch Ahnungslose. Kostprobe: Nachdem Palin in einem Interview ihre außen- und sicherheitspolitische Kompetenz damit begründet hatte, dass man Russland von Alaska aus sehen könne, wurde sie auf ABC gefragt, was sie damit meine. Antwort eins: »Nun, dass Alaska eine sehr enge Seegrenze zwischen einem fremden Land, Russland, hat und, auf unserer anderen Seite, die Landesgrenze, die wir mit Kanada haben.« Nachfrage von ABC, wie dies ihre außenpolitische Erfahrung verbessert habe. Zweite Antwort: »Nun, das tut es sicher. Denn unsere, unsere Nachbarn nebenan sind fremde Länder, dort in dem Staat, von dem ich die Exekutive bin.«

Palins Ernennung und Selbstentlarvung fallen so zweifach auf den Kandidaten McCain zurück: Sie führen seinen Vorwurf jugendlicher Unerfahrenheit an die Adresse Obamas ad absurdum. Und, schlimmer noch, sie erlauben keinen vorteilhaften Schluss über McCains eigenes Urteilsvermögen.

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