nd-aktuell.de / 25.10.2008 / / Seite 20

Wahrung geistiger Autonomie

Linkssozialistische Traditionen in Ost und West – Notizen von einer Tagung

Kurt Schneider
Kofler
Kofler

Dem gesamtdeutschen Ansatz linkssozialistischen Denkens nachzugehen, war das erklärte Anliegen der Konferenz »Leo Kofler und Wolfgang Abendroth. Die sozialistische Linke und 1968«, zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen nach Leipzig eingeladen hatte. Sie knüpfte an bisherige Tagungen der Stiftung zum Werk von Walter Markov, Werner Krauss, Ernst Bloch, Fritz Behrens und Emil Fuchs an und setzte damit zugleich die Kolloquienreihe zu Traditionen des Linkssozialismus fort, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit dem Verein »Helle Panke« veranstaltet (ND berichtete).

Andreas Diers (Frankfurt am Main) referierte über Abendroths Leistungen im Justizministerium der Mark Brandenburg (Januar bis Juni 1947) sowie als Staats- und Völkerrechtler an den Universitäten in Halle, Leipzig und Jena. Abendroth stand zwar, nach eigenem Bekunden, »kritisch zu manchen Schritten in der sowjetischen Besatzungszone, aber nicht zur Gesamtlinie«. Daher nahm er auch sofort die Einladung Otto Grotewohls im Mai 1948 an, am Entwurf für eine Verfassung für Deutschland mitzuarbeiten. Ende Dezember 1948 sah er sich jedoch gezwungen, aus der sowjetischen Besatzungzone zu fliehen, um einer drohenden Verhaftung durch das NKWD zu entgehen. Bemühungen Ulbrichts, ihn zur Rückkehr zu bewegen, scheiterten. Abendroth wurde nun verketzert und z. B. in der Zeitschrift »Neue Justiz« als »pseudomarxistischer Trotzkist« beschimpft. Richard Heigl (Regensburg) verwies darauf, dass für jenen marxistische Wissenschaft notwendigerweise »Oppositionswissenschaft gegen die herrschende Ideologie« war. Im Konflikt zwischen dem SDS und der SPD entschied sich Abendroth für den Verbleib in der Partei, um in ihr für eine freie geistige Entwicklung zum Marxismus zu wirken.

Nachdem Gerhild Schwendler (Leipzig) über die nur spärlich vorhandenen Belege zu Abendroth im Leipziger Universitätsarchiv informiert hatte, wandte sich Christoph Jünke (Bochum) einem zu Unrecht im öffentlichen Bewusstsein verdrängten Denker zu: Leo Kofler sei in sozialphilosophischer und gesellschaftstheoretischer Hinsicht der wichtigste Vertreter des deutschen Nachkriegs-Linkssozialismus. Um dies zu belegen, verwies Jünke auf dessen Analyse der spätbürgerlichen Integrationsprozesse, seine Kritik der beiden Hauptströmungen der Arbeiterbewegung sowie seine Theorie der progressiven Elite. Mit letzterem habe Kofler der politisch, weltanschaulich und sozial breit gefächerten Neuen Linken Begriff und Struktur gegeben. Er sei für einen Brückenschlag zwischen humanistischen Avantgardisten und organisierter Arbeiterbewegung, »alter« und »neuer« sozialer Bewegung zwecks gemeinsamer Selbstveränderung eingetreten.

Hans-Martin Gerlach (Leipzig) sprach über Koflers Tätigkeit an der Hallenser Universität und die rüden Angriffe auf ihn mit Beginn der Umwandlung der SED zur »Partei neuen Typus«. Unmittelbar nach Erscheinen seines Buches »Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft« wurde Kofler des Revisionismus beschuldigt, die bereits gedruckte zweite Auflage sofort eingezogen und eine Untersuchungskommission eingesetzt. Im theoretischen Organ der SED, der »Einheit«, als »ideologischer Schädling« diffamiert und aus der SED ausgeschlossen, wurde Kofler am 16. September 1950 »mit sofortiger Wirkung von den Pflichten als Professor entbunden«. So blieb auch ihm nur noch der Weg nach Westdeutschland.

Ein anderes Beispiel schilderte Volker Caysa (Köngersheim). Er würdigte den Leipziger Philosophiehistoriker Helmut Seidel, der wegen seiner Praxis-Philosophie in die Mühlen dogmatischer Kritik in der DDR geraten war. Obwohl diesem immer wieder von der Parteiorthodoxie philosophischer Revisionismus unterstellt worden war, entschied sich Seidel, im Sozialismus für den Sozialismus zu wirken, was freilich einschloss, sich in die Verhältnisse einzupassen. Doch: »Was wie An- und Einpassung durch Rückzug aussah«, so Caysa, »war de facto Wahrung von Autonomie«.

Die Referate sollten alsbald durch Publikation einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich gemacht werden.

Abendroth
Abendroth