Schas-Partei lässt Livni abblitzen

Regierungsbildung in Israel unsicher, Neuwahlen werden wahrscheinlicher

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Nach wie vor ist unklar, ob Israel ohne Wahlen eine neue Regierung bekommen wird. Die ultrareligiöse Schas-Partei erteilte gestern der mit der Regierungsbildung beauftragten Zipi Livni eine Absage.

Ihr Haar ist ein Hauch zerzauster als sonst; ihre Augen wirken müde. So sendet Zipi Livni, Israels Außenministerin und Vorsitzende der Kadima-Partei, unbewusst ihr Signal aus, als sie am Donnerstagnachmittag vor die Presse tritt: Es gibt keine Fortschritte. »Ich werde auch ohne Schas eine Regierung bilden«, sagt sie. Nur wie sie es bewerkstelligen will, ein funktionstüchtiges Kabinett zusammenzustellen, das verrät sie nicht. »Es wird schon werden«, sagt einer ihrer Mitarbeiter später am Telefon – eine Durchhalteparole, mit der man sich selbst Mut macht.

Dabei werden Neuwahlen immer wahrscheinlicher: Die ultra-orthodoxe Schas-Partei lehnte am Freitag eine neue Koalitionsregierung mit der Kadima-Partei unter Zipi Livni ab. Unter den derzeitigen Bedingungen sei ein Bündnis nicht möglich, erklärte die Partei, die unter dem scheidenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert noch mit der Kadima zusammenarbeitet.

Die Absage wirft viele Fragen auf: Bekommt Israel ohne Neuwahlen eine neue Regierung? Wird Kadima, eine weniger als drei Jahre alte Partei ohne wirkliche Basis, weiter existieren? Wird Zipi Livni, die im September Premierminister Ehud Olmert an der Parteispitze ablöste, Premierministerin werden? Und über alledem steht die Zukunft des Friedensprozesses mit Syrien und den Palästinensern in Frage. Zwar gibt es einen Deal mit der Arbeitspartei, der Verteidigungsminister Ehud Barak faktisch in den Status eines zweiten Premierministers erhebt, und auch die Rentnerpartei Gil ist bereit mitzumachen. Aber damit hat Livni erst 55 der 120 Abgeordneten auf ihrer Seite. Sie braucht entweder eine rechte, religiöse oder die arabischen Parteien als Verstärkung. Im Moment versucht sie es mit den religiösen Parteien.

»Es ist ein ständiges Zittern«, gesteht ihr Mitarbeiter, »wir können uns einfach keine Neuwahlen leisten« – denn da würde allen Umfragen zufolge das rechte Spektrum gewinnen und Kadima verschwände sehr wahrscheinlich von der politischen Karte: Der Partei haftet nach wie vor der Ruch der Olmertschen Korruptionsaffären an. Livni soll Kadima, so wünschen sich Parteispitze und Mitglieder, davon befreien, denn die Frau gilt als sauber und, anders als Olmert, durch den Libanon-Krieg unbelastet.

Das könnte sich ändern: Die Mehrheit der Israelis, Umfragen zufolge bis zu 60 Prozent, will Ergebnisse in der Friedenspolitik sehen, aber die Chancen dafür stehen schlecht. Schas, jene Partei, die die Mehrheit sichern könnte, fordert eine Erhöhung des Kindergeldes und das Versprechen, keiner Teilung Jerusalems zuzustimmen – Forderungen, denen sich auch die anderen religiösen Parteien und die Rechte angeschlossen haben. Mehr Kindergeld wäre aber nur zahlbar, wenn Leistungen gestrichen würden, die vor allem den säkularen Israelis zugute kommen, und eine kategorische Absage an eine Teilung Jerusalems würde jegliches Friedensabkommen unmöglich machen, mit dem Ergebnis, dass Livni in der Öffentlichkeit an Statur verlieren und ihre Chancen auf Wiederwahl vergeben würde.

So bastelt das Livni-Lager im Hintergrund an einem Novum in der israelischen Geschichte. Man denkt darüber nach, die linksliberale Meretz-Partei ins Boot zu holen, womit dann genau 60 Abgeordnete in der Koalition wären. Für die Mehrheit würde die Duldung durch eine arabische Partei oder durch einige linkskonservative Abgeordnete des Likud-Blocks sorgen. »Das würde es uns ermöglichen, die kommenden Monate zu überstehen, auf ein Abkommen zum Beispiel mit Syrien hinzuarbeiten und dann gestärkt in Neuwahlen hineinzugehen«, sagt Livnis Mitarbeiter. Dass seine Chefin jedoch darauf eingehen wird, kann auch er nicht garantieren: »Im Moment sind das Überlegungen; sicher ist im Moment gar nichts.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal