Die dritte Säule der Demokratie

»Treffpunkt Bibliothek« bundesweit mit 4500 Veranstaltungen

  • Ekkehard Krippendorf
  • Lesedauer: 4 Min.
»Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek« heißt die vom Deutschen Bibliotheksverband organisierte bundesweite Werbewoche für das Lesen und die dazu unverzichtbaren öffentlichen Bibliotheken.
Die dritte Säule der Demokratie

Die Pressekonferenz zum »Tag der Bibliotheken« begann mit einem kleinen Skandal: Außer drei Rundfunksendern kam nur eine einzige Tageszeitung: Das Neue Deutschland... Warum das ein Skandal ist? Dazu müssen wir etwas grundsätzlicher werden.

Als im klassischen Griechenland die Demokratie erfunden wurde, hatte sie zwei Orte polis-bürgerlicher Öffentlichkeit: die Agora, den Versammlungsort unter freiem Himmel, und das Theater. Beide befanden sich in der Mitte der Polis und sind noch heute in den alten Städten zu sehen. Als das Bürgertum sich mit dem Parlament seine Nachfolgeinstitution der Agora schuf, wurde es ebenfalls in den Zentren der Hauptstädte errichtet, so wie auch die Stadt- und Staatstheater und Opernhäuser – beides Orte der Öffentlichkeit, zugänglich für jeden. Die zur Pressekonferenz nach Berlin gekommenen Vertreter der rund 7000 deutschen staatlichen bzw. kommunalen und öffentlichen Fach- bzw. Verbandsbibliotheken hatten dazu etwas zu sagen: Sie vertraten mit ihren Häusern gewissermaßen die »Dritte Säule« der Demokratie als Orte der Begegnung und Information freier Bürger in konkret gelebter Öffentlichkeit. Wo sonst haben Menschen aller sozialen Schichten, aller Berufe, aller Altersstufen, Eltern und Kinder, Akademiker und Hausfrauen freien Zutritt zu einer Institution, die nicht kommerziell arbeitet, keinen Profit zu erwirtschaften hat, die ihre Dienstleistung – Bildung und Information, das wichtigste Gut in einer Gesellschaft, die sich selbst zu regieren beansprucht – zu einem minimalen Preis (in vielen Fällen auch gratis) allen zur Verfügung stellt, sofern sie nur über einen Ausweis mit Adresse verfügen? Und dazu aktuell die zusätzliche Funktion der Vermittlung zwischen den verschiedenen Kulturen, die unsere Gesellschaft ausmachen: Immigranten finden hier Orientierungswissen, aber auch Ressourcen ihrer eigenen Kultur – ein Potenzial der Kommunikation und Integration, das bisher nicht annähernd ausgeschöpft und aktiviert wurde.

Geradezu emphatisch wurde hier an die weitere Öffentlichkeit appelliert (wann schon haben Bibliothekare dazu Gelegenheit?), sich mehr um Bibliotheken zu kümmern. Bibliotheken dürften nicht haushaltspolitischer Willkür unterworfen werden. Deutschland hat als eines der wenigen Länder der EU kein Bibliotheksrahmengesetz und keine definierten Standards der Effizienzkontrolle. Vieles wird verhindert durch den Föderalismus – aber wenn der schon seine Berechtigung hat: Warum nicht von dem hinsichtlich seines Kulturhaushaltes vorbildlichen Thüringen lernen?

Was die Bibliotheken zu leisten vermögen, soll diese Woche (bis zum 31. Oktober) zeigen: 4500 Veranstaltungen, mehr als 200 Lesungen, dazu Ausstellungen und in 150 Bibliotheken »lange Nächte«: Wer wissen will, was, wann und wo in seiner Nachbarschaft alles los ist, der wird im Internet unter www.treffpunkt-bibliothek.de so viel erfahren, dass er oder sie die Qual der Wahl hat. Und wer sich die kostenlose, ansprechend und informativ gestaltete Broschüre »21 Gründe für gute Bibliotheken« (hrsg. von der BID – Bibliothek und Information Deutschland) besorgt, wird gerne die Probe aufs Exempel machen und seine nächste Bücherei aufsuchen. Längst sind die meisten nicht mehr bloße Ausleiheschalter. Viele bemühen sich, ihren Räumlichkeiten die Funktion öffentlicher Orten zu geben. Und die Benutzerzahlen steigen seit Jahren deutlich. Auch darf man hinweisen auf einige gelungene Bibliotheksneubauten (in Münster, Cottbus, Augsburg u.a.m.) – es steht also nicht allzu schlecht um diese »Dritte Säule« ...

An Nischen- oder peripheren Orten kann eine öffentliche Bibliothek allerdings nicht gedeihen – sie gehört ins Zentrum der Stadt oder des Bezirks, so wie große Plätze und die Theater. Und das verführt zu einem realisierbaren Traum, wenn der öffentliche Wille dazu mobilisiert werden könnte: Wäre es nicht schön, wenn in das wiederaufzubauende Berliner Stadtschloss eine großzügige, allen offen stehende, hell erleuchtete allgemeine Bibliothek mit Veranstaltungsräumen und vielen konsumfreien Sitzgelegenheiten einziehen könnte? Ein Ort der Bildung und der Kommunikation, vermittelt durch Literatur und das gedruckte Wort – ein im idealen Sinne des Wortes »Palast der Republik« lesefreudiger bildungshungriger, kommunikationsbedürftiger Bürgerinnen und Bürger.

Schinkel hat vor 200 Jahren mit dem Alten Museum in Sichtachse zum Schloss dem kulturellen Anspruch des preußischen Reformprojektes eine städtebauliche Gestalt gegeben. Wäre das Projekt einer Bibliothek im Herzen der Hauptstadt nicht ebenfalls ein städtebaulich sichtbarer Anspruch darauf, dass die Rede von der »Bildungsrepublik Deutschland« als Perspektive deutscher Identität in einem kulturell und nicht machtpolitisch definierten Europa ernst gemeint ist?

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