nd-aktuell.de / 27.10.2008 / Kultur / Seite 4

Bücherpastor

Martin Weskott

Reimar Paul
Martin Weskott, der Bücherpfarrer, erhielt den Preis der Deutschen Literaturkonferenz.
Personalie: Bücherpastor

Martin Weskott hat akribisch dokumentiert, wie er rund eine Million Bücher vor dem Verfall rettete. Etliche Ordner füllte er mit den Anfragen, Briefwechseln und Zeitungsausschnitten, die sich in fast 20 Jahren angesammelt haben. Gestern erhielt der evangelische Pfarrer aus Katlenburg bei Göttingen die Karl-Preusker-Medaille der Deutschen Literaturkonferenz. Er habe »der schlichten Wahrheit, dass Bücher nicht auf den Müll gehören, eine moralische Geltung verschafft«, urteilte die Jury.

Die Kopie eines Agenturfotos von 1991, ganz unten in Weskotts Aktenstapel, zeigt eine Müllkippe bei Plottendorf nahe Leipzig. In der Kuhle liegen Abfälle und Gerümpel. Und ein großer Haufen Bücher. »Dass in der Kulturnation Deutschland Literatur buchstäblich untergepflügt wird, hatte ich bis dahin nicht für möglich gehalten«, sagt Weskott. In den Wirren von Wende und Wiedervereinigung hatten viele ostdeutsche Verlage und Buchhandlungen ihr gesamtes Sortiment weggeworfen, aus Angst vor Absatzproblemen oder auf Anweisung der neuen Besitzer aus dem Westen.

Weskott machte sich umgehend auf nach Plottendorf. Er kroch durch ein Loch im Maschendrahtzaun auf den Müllplatz und starrte entsetzt auf die von Schimmel angefressenen Bücher. »Die lagen da herum«, beschreibt der Pfarrer seinen ersten Eindruck, »als seien sie von einem Miststreuer ausgespuckt worden«. Seitdem war Weskott an die zweihundert Mal in den neuen Ländern unterwegs. Er suchte und fand Bücher in Abfallcontainern und Hinterhöfen, in Kellern und Speichern, bei aufgegebenen Verlagen und in verrammelten Antiquariaten. Seine Schätze transportierte er im Lastwagen eines befreundeten Getränkehändlers nach Katlenburg. Ein Ende der Reisen ist nicht abzusehen. »Wenn sich zum Beispiel keiner mehr findet, der die Restbestände aus einer früheren Betriebsbücherei betreuen will, dann klingelt hier das Telefon«, erzählt der Pastor.

Bei sonntäglichen Bücherbasaren in Katlenburg gibt Weskott die Bücher an Interessierte weiter, mit den dafür gegebenen Spenden unterstützt er die Hilfsaktion »Brot für die Welt«. Autoren und Verleger der verloren geglaubten Bücher kommen seit Jahren zu Lesungen und Vorträgen ins Katlenburger Gemeindehaus.