Schmerzen in der Brust, Atemnot, kalter Schweiß – Verdacht auf Herzinfarkt, nun zählt jede Minute. Die Berliner Firma Rennesens bietet Teststreifen, mit denen Patienten selbst eine Diagnose stellen können. Für 30 bis 40 €Euro ist der Cardiodetect Self-Test in Apotheken und im Internet erhältlich. Ein spezieller Marker soll klären, ob ein Herzinfarkt vorliegt. Zwei bis drei Tropfen Blut genügen.
Zwar weist der Hersteller ausdrücklich darauf hin, dass vor Anwendung des Selbsttests der Notarzt informiert werden sollte. Für Kardiologen sind die Tests dennoch fatal: Zu hoch sei das Risiko. Für die Industrie sind die Tests lukrativ. Ob das Blut zu süß, der Herzmuskel abgestorben oder der Urin zu konzentriert ist – immer häufiger nehmen Menschen ihre Gesundheit selbst in die Hand.
Das Umsatzwachstum der Selbstdiagnosetests ist beachtlich: Legten klassische Labordiagnostika zwischen 1991 bis 2004 nur um fünf Prozent zu, kletterte die Zahl für die Selbsttests im gleichen Zeitraum um 750 Prozent. Aktuell liegt der Umsatz dem Marktforschungsinstitut IMS Health zufolge bei etwa 820 Millionen Euro€. Beim Verband der Diagnostica-Industrie schätzt man den Umsatz aller diagnostischen Selbsttests auf 750 Miillionen Euro€. Etwa 30 Prozent davon dürften auf Tests ohne ärztliche Verordnung zurückgehen, meint Geschäftsführer Dierk Meyer-Lüerßen.
Die Palette der verfügbaren Selbsttests streift alle medizinischen Fachbereiche: Von Fruchtbarkeit und Menopause, Cholesterin-, Blutzucker- und Gerinnungswerten bis hin zu Hinweisen auf Nierenerkrankungen, Hepatitis oder auch HIV. Doch nicht alle Tests lassen sich von medizinischen Laien so leicht beurteilen wie ein Schwangerschaftstest. »Auch wenn der Patient durch die Heimdiagnose eigenverantwortlicher handelt, Wartezeit und die Praxisgebühr beim Arzt spart, müssen die Tests differenziert betrachtet werden«, warnt Uta Heinrich-Gräfe vom Arzneimittelberatungsdienst an der Technischen Uni Dresden. »Viele Produkte werden nicht korrekt angewendet. Falsche Ergebnisse wiegen die Patienten in trügerischer Sicherheit.«
Umstrittenes Beispiel: der HIV-Selbsttest. Offiziell darf er nur von Ärzten eingesetzt werden. Im Internet ist er aber schnell zu finden. Ralf Rötten von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland hält das für problematisch: »Der Test fällt nicht nur oft fälschlicherweise positiv aus und ist damit unsicher«. Durch den leichten Zugang würden auch die psychischen und sozialen Probleme nach einem positiven Ergebnis unterschätzt.
Matthias Kottke, Geschäftsführer des Unternehmens Diasanis, warnt: »Selbsttests sind ein riesiger Markt, der vor allem im Internet Unmengen von schwarzen Schafen anzieht.« Getarnt mit einer deutschen Homepage würden sie teure und unsichere Tests verkaufen, die in Europa nicht zugelassen sind.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/137919.patient-stellt-diagnose.html