Wie Biotech Leben verändert

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.

Als die heutige Biotechnologie-Professorin Katrine Whiteson sechs Jahre alt war, konnte sie auf einer Wanderung in Kalifornien mit ihren Eltern nicht mithalten. Sie verlor zu dieser Zeit auch deutlich an Gewicht. Die Diagnose lautete 1984: Diabetes! Die Insulin produzierenden Zellen in Katrines Bauchspeicheldrüse waren in den ersten Lebensjahren durch ihr eigenes Immunsystem zerstört worden. Insulin regelt aber bekanntlich den Blutzucker. Glück im Unglück: Zu genau dieser Zeit begann man, Blutzucker mit neuartigen Biosensoren zu bestimmen. Ihre Eltern stachen ihr in den Finger, benetzten den Teststreifen und das Messgerät zeigte die Glucosekonzentration exakt an.

Bis zum Alter von zehn Jahren lief diese Prozedur vor jedem Essen ab. Die Eltern mussten dann entscheiden, wie viel Insulin zu injizieren war – je nachdem wie viel Kohlenhydrate sie essen wollte, wie aktiv Katrine war etc. War der Wert zu hoch, musste die Insulinmenge erhöht, bei zu niedrigem Wert musste sie verringert und mitunter sogar ein extra Snack gegessen werden – sehr kompliziert.

Ich kenne diesen von Diabetes geprägten Tagesablauf dank eines Beitrags von Katrine zu meinem neuen Bioanalytik-Lehrbuch: »Heute, fast 25 Jahre später, ist meine Routine immer noch ähnlich, aber der Glucose-Biosensor braucht nun erheblich weniger Blut und nur fünf Sekunden statt mehrerer Minuten.« Seit 1996 spritzt sie nicht mehr von Hand, sondern eine Pumpe sorgt durch stündliche Abgabe von schnell reagierendem, gentechnisch hergestelltem Insulin für eine angepasste Versorgung entsprechend der körperlichen Aktivität und Mahlzeiten. Entscheidend bleibt der Biosensor: Zu niedriger Blutzucker ist kurzfristig gefährlich, zu hoher verursacht langfristig Komplikationen wie Nierenschäden und Erblinden.

Wie funktioniert so ein Glucosebiosensor? Vereinfacht gesagt, benutzt er das Enzym Glucoseoxidase. Dieses ist auf einem Einweg-Sensorchip gebunden, wartet auf Glucose aus dem Blutströpfchen und überträgt dann Elektronen der Glucose auf den Sensorchip. Ein Messgerät zeigt genau diese Elektronen an. Eine größere Anzahl an Elektronen bedeutet mehr Glucose. Der Messvorgang dauert gerade einmal 20 Sekunden. Katrin weiter: »Essen, Hormone, Training, Stress, Krankheit, aber auch unberechenbare Faktoren beeinflussen die Zuckerwerte. Ich muss also möglichst alles immer sorgfältig planen. Also messe ich, sooft es nur geht. Gefährliche Zuckerwerte außerhalb des Normalbereichs können so schnell korrigiert werden. Obwohl es toll ist, dass man heute ein fast normales Leben mit Diabetes führen kann, sind perfekte Glucosewerte immer noch ein Traumziel.«

Vor zwei Jahren wurde Katrine schwanger – eine neue Herausforderung. Hohe Blutglucosewerte sind für Embryo und Baby gefährlich, es können Entwicklungsstörungen auftreten. Andererseits wächst der Insulinbedarf in der Schwangerschaft mitunter bis zum dreifachen, weil andere Hormone den Spiegel reduzieren. »Also testete ich mehr als zehnmal täglich und mehrfach nachts. Schließlich konnte sogar mein Mann meine Zuckerwerte mit dem Biosensor testen, ohne mich dabei zu wecken! Durch diese fast pausenlose Überwachung konnte ich meine Glucose- und Insulinwerte ähnlich denen einer Schwangeren ohne Diabetes halten. Das alles verdanke ich allein zwei Fortschritten der Biotechnologie: gentechnischem Humaninsulin, durch manipulierte Bakterien produziert, und Biosensoren mit zuckeroxidierenden Enzymen. Unser Sohn wurde kerngesund geboren: am 07.07.07! Vivat Biotech!«

Gerade meldet die Universität von North Carolina, dass es gelungen sei, menschliche Hautzellen in Insulin produzierende Zellen »zurückzuprogrammieren« – ein Hoffnungsschimmer für hunderte Millionen Diabetiker weltweit.

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