Kraxeln auf dem »Kleiderbügel« von Sydney

Seit zehn Jahren kann man die Harbour Bridge besteigen – ein Selbstversuch

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer hoch hinaus will und die Harbour Bridge in Sydney besteigen will, muss zunächst in einen grauen Ganzkörperanzug steigen. Ian, ein stämmiger Rothaariger mit schottischem Akzent, gibt letzte Anweisungen zum Bridge-Climb (Brücken-Klettern). Handys, Schlüssel, Portemonnaies, alles ins Schließfach, please. »Ihr wollt das alles da oben nicht verlieren«, sagt er, »und die Autofahrer 100 Meter unter euch mögen keine Beulen, weder am Kopf noch im Blech!« Darum werden auch die zur Bridge-Climb-Ausrüstung gehörende Fleecejacke sowie Mütze und Handschuhe an den Anzügen festgeklickt, sogar das Stofftaschentuch für Freudentränen auf dem Gipfel.

Durch Harbours Innerstes

Dass was runterfällt, wenn täglich mehrere hundert Menschen über die Harbour Bridge klettern, das war einer von vielen Einwänden, an denen Bridge-Climb-Erfinder Paul Cave mit seiner Idee bei Sydneys Behörden fast gescheitert wäre. Doch für alle Bedenken der Beamten fand er eine Lösung und konnte letztlich mit einem lückenlosen Sicherheitskonzept überzeugen. Im Oktober 1998 kraxelten die ersten Wagemutigen auf öffentlichen Touren auf den »Kleiderbügel«, wie die Einwohner Sydneys ihre berühmte Brücke nennen.

So wie damals wird auch heute noch jeder Bridge-Climber an der Brücke angeleint. Ein elastisches Seil, untrennbar mit dem Anzug verbunden, läuft am Brückengeländer in einer Führungsschiene. Ausklinken? »No, erst nach dem Abstieg«, sagt Katherine, unsere Gruppenleiterin, und gibt das Startzeichen. Endlich los zum »Discovery Climb«, der neuesten Harbour Bridge-Tour. Der Unterschied zur herkömmlichen Tour wird schon nach wenigen Metern klar: »Bridge-Climb« ist wie Bergsteigen. Stufe für Stufe dem Gipfel mit der australischen Fahne näher steigen, mit jedem Schritt eine grandiosere Aussicht genießen.

Der »Discovery Climb« hingegen hat was von Endoskopie. So wie bei dieser medizinischen Untersuchung eine Kamera durch den Körper fährt, so stiefeln die »Discoverer« durch das Skelett und die Eingeweide der Brücke. Und stellen fest: An Knochenschwund leidet die 76 Jahre alte Dame nicht. Nur hier und da ein wenig Verkalkung – Flugrost, der gerade von emsigen Brückenarbeitern weggeflext wird. Knapp 300 000 Liter Farbe malen und verspritzen sie, bis der »Kleiderbügel« einen komplett neuen Anstrich bekommen hat. Um danach gleich von vorn zu beginnen. Kein Wunder, dass Crocodile Dundee-Darsteller Paul Hogan diesen luftigen Job in den sechziger Jahren bald geschmissen hat, erzählt Katherine über Funk. Ohne Kopfhörer würden wir sie nicht verstehen, zu windig ist es in nunmehr gut 50 Metern Höhe.

Hier schlängeln sich die kaum einen Meter breiten Stege und Leitern der Arbeiter durch das Gewirr der Stahlträger. Für Discovery-Climber heißt das, alle paar Meter den Kopf einziehen und bücken. Nach rechts kann man schon mal einen Blick auf die Oper genießen, vor allem aber auf das Pulsieren der Lebensadern dieser Brücke horchen: Links rattert ein Zug auf einem der beiden Bahngleise vorbei, daneben surrt der morgendliche Berufsverkehr achtspurig. Mit jedem Schritt gibt das Brückenskelett mehr Sicht frei auf die Muschelschalen der Oper, auf die Stadt und die grünen Fähren, die hinter sich weiße, schaumige Muster ins Hafenwasser malen.

Mit 100 auf den Gipfel

Schwindel? Höhenangst? Nö, hat keiner in dieser Gruppe. Vor allem, weil gar keine Zeit dafür bleibt. Weil die Geländer sowie die Leine ein sicheres Gefühl geben. Und: Weil vor uns ja schon gut zwei Millionen Brückenkletterer heil wieder runtergekommen sind, darunter eine Hundertjährige. Nennenswerte Unfälle hat es in den vergangenen zehn Jahren nicht gegeben. Und das, obwohl jede Brückentour eine All-Wetter-Erfahrung ist. Was das heißt, wird bei den ersten Schritten oben auf dem »Kleiderbügel« klar: Mit 50 Stundenkilometern zerrt der Wind an unseren Anzügen, pustet Mützen von Köpfen und lässt sie am Haltebändchen um die Ohren peitschen.

Kein Grund für Katherine, auch nur ein Fünkchen ihrer guten Laune zu verlieren. Stattdessen funkt sie uns die Geschichte auf die Ohren, wie sie kürzlich hier oben in ein Gewitter geriet und von einem eilig heraufkletternden Rettungsteam mitsamt Gruppe nach unten gebracht werden musste. Pech für zwei Kletterer in der Gruppe – ihre Verlobung in luftiger Höhe fiel dadurch aus. Stephan Tierney und Claire Tullan aus England hatten mehr Glück: Am 3. Juni 2008 ließen sie sich als erste auf der Brücke trauen.

Wir bekommen kein Hochzeitsfoto, dafür aber das übliche Gipfelbild. Leider nicht mit der eigenen Kamera geschossen, auch die musste unten bleiben. Katherine zückt ihre, arretiert sie wegen windiger Verwacklungsgefahr in einem eigens hier oben angebrachten Stativ und macht das einzigartige Erinnerungsfoto.

Auf dem Rückweg kommen wir an die einzige Stelle, an der sich die meisten mit beiden Händen an die Reling krallen: Der schmale Steg vom Aufstiegsbogen rüber zum Abstiegsbogen. Jetzt bloß nicht runterschauen auf die Spielzeugautos und die winzigen Fußgänger in 134 Meter Tiefe. Besser man lässt den Blick über das fantastische Panorama aus Flussarmen mit Inseln, Piers, Hochhäusern, Schiffen und Opernhaus schweifen.

Nach drei Stunden – 1,7 Kilometer, 1090 Treppenstufen – schälen wir uns wieder aus den Anzügen, verspüren dabei ein leichtes Zwicken im Kreuz. Die Diagnose: klarer Fall von (B)Rückenschmerzen.

Infos:Tourism Australia, Neue Mainzer Str. 22, 60311 Frankfurt am Main, Tel.: (069) 27 40 06-22, Fax: -40, www.australia.com
Die gut dreistündigen Touren in Sydney sind an 363 Tagen rund um die Uhr möglich und kosten ab 179 Dollar (ca. 105 Euro), je nach Termin und Tageszeit. Mindestalter zehn, bis zum 16. Lebensjahr nur in Begleitung der Eltern. Infos: www.bridgeclimb.com

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