Ein Fall von Zivilcourage

Wie die Wörlitzer Synagoge gerettet wurde

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 2 Min.

Am nordöstlichen Rand eines berühmten Landschaftsgartens steht in gewollter Nähe zur evangelischen Kirche eine Synagoge. Baumeister war Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff, ein Wegbereiter des deutschen Frühklassizismus, und der Bauherr der Reformfürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der sein Land zum europaweit bewunderten Musterstaat entwickelte, das fantastische Dessau-Wörlitzer Gartenreich gestaltete und mittendrin die Synagoge errichten ließ – Beleg für seine aufgeklärte Judenpolitik.

Die Synagoge in Wörlitz gehört zu den wenigen jüdischen Gotteshäusern, die die Progromnacht der Nazis sowie den Krieg relativ unbeschadet überstanden haben. Als ihr Retter an jenem schwarzen Tag im November 1938 ist Hans Hallervorden überliefert. Er war Direktor der Schlösser sowie Gärten von Dessau-Wörlitz. Mutig stellte er sich dem auch hier mit der Brandfackel anmarschierenden Pöbel entgegen. Mehr noch, er diskutierte mit den Braunhemden, verwies auf den kulturhistorischen Wert der gesamten Anlage und erklärte die einzigartige Architektur.

1789/90 war die Synagoge von Wörlitz errichtet worden, nach dem Vorbild des Vestatempels am Forum Boarium in Rom. Das Innere besticht durch die eindrucksvolle Kuppel. Rundbogig ist die Nische für die Thora, hufeisenförmig die Frauenempore auf toskanischen Säulen. Unter dem Gebetraum befindet sich ein Ritualbad.

Die beweglichen gottesdienstlichen Gegegenstände aus der Wörlitzer Synagoge sind verloren. Ein Teil war vor der Progromnacht in die Dessauer Synagoge ausgelagert worden und ist dort bei der Brandschatzung des Gebäudes am 9. November 1938 zerstört worden, der antere Teil wurde willkürlich zerstört. Hallervorden musste nach seinem couragierten Einschreiten seinen Posten räumen. Er kehrte erst nach 1945 in »sein« Gartenreich zurück. Die Synagoge war in Vestatempel umbenannt worden, wurde zeitweilig mit Stacheldraht umzäunt und duch das Anpflanzen von Pappeln um sie herum »versteckt«. 1948 wurde das Umfeld wieder in seinem ursprünglichen Zustand hergestellt.

Auch die Synagoge von Gröbzig entging dem Vernichtungswahn der Nazis. Dies war wohl der Entscheidung der Stadtoberen zu verdanken, die Synagoge – unter Beibehaltung des sakralen Raumcharakters – ab 1935 als Heimatmuseum zu nutzen. Das zwischen Köthen und Könnern gelegene Städtchen hatte einst eine starke jüdische Gemeinde, dank der Toleranzpolitik der Dessauer Askanier und insbesondere des genannten Fürsten Franz, der »seinen« Juden im 18. Jahrhundert Rechte einräumte, die deutschlandweit ohne Beispiel waren. Auch aus der Gröbziger Synagoge waren vor der Pogromnacht Kultgegenstände und Thorarollen nach Dessau ausgelagert worden, wo sie das gleiche Schicksal wie die Sakralgegenstände aus Wörlitz erfuhren.

Die Synagoge in Gröbzig ist, nach Restaurierung in DDR-Zeiten, weiterhin Heimatmuseum, bereichert um eine Darstellung der Geschichte der hiesigen Juden.

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