Abstieg in die Unglaubwürdigkeit

Der Herausgeber des ND ist Parteivorsitzender der LINKEN

  • Lothar Bisky
  • Lesedauer: 3 Min.
Kolumne: Abstieg in die Unglaubwürdigkeit

Ein Aufschrei aus Hessen ging in dieser Woche durch Politik und Medien. Da war die Rede von Wortbruch und Gewissen, von Glaubwürdigkeit und Verantwortung. Im Mittelpunkt stand die SPD, die nunmehr hart politische Eiertänze trainiert. Die Ereignisse in Hessen sind dafür symptomatisch: Nicht die Abwahl von Roland Koch und eine sozial gerechte Politik stehen im Mittelpunkt des politischen Handelns, sondern die möglichst radikale Abgrenzung zur LINKEN. In vorauseilendem Gehorsam zur Union ist die Frage »Wie hältst du es mit der Linkspartei?« für die SPD längst zur Gretchenfrage geworden. Die SPD lässt sich von der Union am Nasenring durchs Land ziehen. Ich halte das nicht nur für die brutalstmögliche Unterstützung von Koch und Co., sondern für politische Selbstkasteiung ohne Not.

»Nie mit der LINKEN«, diese Aussage ist für die Glaubwürdigkeit der SPD schon mehrfach zum Verhängnis geworden. Sie stand am Anfang des Ypsilanti-Wahlkampfes in Hessen und am Ende politischer Handlungsfähigkeit. Der Versuch einer Kurskorrektur im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen, sozial Benachteiligten und Familien führte zum Sturz von Kurt Beck und zur Inthronisierung von Müntefering und Steinmeier. Mit der erneuten Machtübernahme der Agenda-2010-Gang ist der Treueschwur besiegelt: auf Bundesebene »NIE«, auf Landesebene ja, ungern, vielleicht, mal sehen …

Dieser Eiertanz führte zum Desaster in Hessen. Mit Gewissen und Glaubwürdigkeit hat das alles nichts zu tun, auch wenn konservative Politiker und Medien gern diesen Eindruck vermitteln wollen und die vier Abtrünnigen zu Rebellen hochstilisieren. Ist es glaubwürdig, wenn die Wortbrüchigen am lautesten Worttreue einfordern? »Wortbruch« oder »Wahlversprechen« sind weder bei CDU/CSU noch bei der SPD eine politische Kategorie. Schon vom ersten deutschen Bundeskanzler Adenauer (CDU) ist der Satz überliefert: »Was schert mich mein Geschwätz von gestern.« Parteichef Müntefering beklagte im September 2006 vor der Presse: »Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair.« (FAZ.net vom 5. 9. 2006)

Die SPD präsentiert sich heute mehr denn je als Appendix der CDU, nach deren antikommunistischer (Block-)Pfeife sie tanzt, um nur nicht in den Geruch einer Zusammenarbeit mit der LINKEN zu kommen – ob beim Mindestlohn, bei der Rente mit 67, beim Gesundheitsfonds … Wenn die Abgrenzung zur LINKEN das einzige ist, wofür die deutsche Sozialdemokratie heute steht, dann verschwindet sie in der Großen Koalition ohne eigenes Profil.

Ich glaubte immer, eine starke Sozialdemokratie sei wichtig für Deutschland. Diese Überzeugung wird schwächer. Die SPD ist auf dem besten Weg, sich selbst unkenntlich zu machen. Der unaufhaltsame Abstieg der SPD in die Unglaubwürdigkeit scheint begonnen zu haben. Oben auf Bundesebene keinen Kontakt, unten auf Landesebene schon oder vielleicht, möglicherweise, eventuell! Ganz unten im Keller gedeiht keine Zusammenarbeit. Das weiß jedenfalls DIE LINKE.

Die Verlogenheit schreit ganz unchristlich zum Himmel: Die CDU arbeitet mancherorts in Kommunen und Kreisen sehr wohl mit der LINKEN zusammen. Umso mehr jubelt sie heimlich über die braven Sozis, die sich so leicht kommandieren lassen. Wer mit wem darf oder nicht darf (obwohl er kann), das entscheidet die Ausgrenzer-CDU, assistiert von ängstlichen Mitgliedern anderer Parteien, die sicherheitshalber im abgesteckten Gatter im Kreise trotten.

Gewissen? Verantwortung? Glaubwürdigkeit? Nein, schlichte Autokratie oder eine in Parzellen eingegrenzte Demokratie. Und wer Demokrat ist, das entscheidet in einer autoritären politischen Ordnung immer noch die CDU. Jedenfalls so lange es sich die braven Häschen aus anderen Parteien gefallen lassen.

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