Die Investoren aus den Sümpfen Floridas

Der Indianerstamm der Seminolen betreibt Betriebe im Kollektivbesitz, verteilt die Gewinne an die Mitglieder und kaufte für fast eine Milliarde Dollar die Hard Rock Cafés

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 7 Min.
Indianische Einladung zum Glücksspiel an der State Road Nr. 7 in Hollywood (Florida).
Indianische Einladung zum Glücksspiel an der State Road Nr. 7 in Hollywood (Florida).

Die State Road Nr. 7 nördlich der Millionenmetropole Miami zieht sich wie alle Straßen hier durch eine schachbrettartig angelegte Stadtlandschaft. Links und rechts Fast-Food-Restaurants, Tankstellen, Einkaufszentren. Sechsspurig gleitet der glitzernde Strom aus Automobilen dahin, im gesetzlich vorgeschriebenen Tempo von 45 Meilen pro Stunde (70 km/h). Langsam genug, so dass der Autofahrer die bunten Reklametafeln am Straßenrand bewusst wahrnehmen kann. Der erfährt auf diese Weise ständig, wo er seine Grundbedürfnisse stillen kann: »Gas, Food, Lodging« – Benzin für die Fortbewegung, Essen für den Magen, ein Bett fürs müde Haupt.

Doch irgendwann überquert der Autofahrer auf der State Road Nr. 7 eine unsichtbare Grenze. Die Reklametafeln werben nun für billige Zigaretten und für Glücksspiel. Und wie eine gigantische Burg aus weißem Zuckerguss ragt der Gebäudekomplex des Hard Rock Hotels und Kasinos (zwölf Stockwerke, 500 Zimmer) in den blauen Himmel des »Sunshine«-Staates Florida. Die Reservation des »Seminole-Tribes«, des Stammes der Seminolen, ist erreicht. Eines Stammes, der sich rühmt, nie von den Weißen besiegt worden zu sein, und der zeigt, dass Indianer nicht nur auf dem Kriegspfad erfolgreich sein können.

Attribute einer eigenständigen Nation

Entgegen dem Bild der Indianer in den westlichen Reservaten der USA – isoliert, arm, alkoholgefährdet – gründen die Seminolen seit einem Vierteljahrhundert diverse Wirtschaftsunternehmen, von der Zitrusplantage bis zur Flugzeugfabrik. Das Rückgrat der Stammesbetriebe aber bilden Zigarettenhandel und Spielkasinos. Das letzte große Geschäft war der Kauf der Hard Rock Café-Kette (HRC) von der britischen Rank-Gruppe – für fast eine Milliarde Dollar.

Die Reservation und darin das Hard Rock Hotel und das Kasino liegen im Bereich der Stadt Hollywood (Florida). Die Kommune mit 145 000 Einwohnern hat nur den Namen mit der berühmten Filmstadt in Kalifornien gemein. Ihre ausgedehnten Eigenheimsiedlungen gehen im Süden nahtlos in die Stadtlandschaft von Miami über und im Norden in die von Fort Lauderdale.

Nur zwei Blocks vom Hard Rock Spielkasino mit seinen unentwegt blinkenden, surrenden und klackenden Spielautomaten entfernt liegt ein weiteres Kasino. Ein schlichter Bau wie eine Industriehalle – die erste Glücksspieleinrichtung des Stammes, errichtet 1979. Heute betreiben die Seminolen neben den beiden Kasinos in Hollywood noch vier weitere, verwaltet von der »Gambling-Zentrale«, vier Autominuten entfernt vom »Headquarter« des Stammes.

Dieses Hauptquartier, ein modernes Bürogebäude, ist von den Insignien einer eigenständigen Nation umgeben. Zum Beispiel flattert eine eigene Flagge vor dem Gebäude. Joe, der an der Einfahrt Wache hält, ist Mitglied der Seminolen-Polizei, die im Gebiet der Reservationen Streife fährt. »Chehantamo?« Wie geht's? Mit diesem indianischen Wort begrüßt er die Besucher.

Im dritten Stock des Hauptquartiers liegt das Büro von Richard Bowers, dem Stammespräsidenten. Eine der Broschüren in seinem Vorzimmer zeigt, wie der Stamm sein Geld ausgibt: »Auf welche Reparaturen im Haushalt habe ich als Stammesmitglied Anspruch?« ist dort zu lesen. Es sind viele: »Das Wohnungsministerium des Seminolen-Stammes von Florida sorgt für die grundsätzlichen Reparaturleistungen an deinem Erstwohnsitz auf dem Gelände der Reservation.« Dazu gehören Reparaturen an der Hauselektrik, im Sanitärbereich, an der Klimaanlage und den Ventilatoren, aber auch der altersgerechte Umbau des Hauses oder der Umbau zum Schutz gegen die in Florida immer wieder wütenden Hurrikane. Und alles ist unentgeltlich.

Aufstieg begann mit Zigarettenhandel

Um die wirtschaftliche Entwicklung des Stammes zu verstehen, sollte man in die Reservation Big Cypress fahren. Es dauert eine gute Autostunde, bis man auf der Bundesstraße 75, die hier »Alligator Alley« heißt, das Stadtgebiet hinter sich gelassen hat und links und rechts der Straße die Everglades auftauchen – eine Art gigantische Sumpfwiese, die den größten Teil des südlichen Floridas bedeckt. Gelegentlich ragen aus dem meterhohen Gras sogenannte »Hammocks« heraus, Erdhügel, die sich um die Wurzeln von Bäumen gebildet haben. Jeden Sommer hebt sich der Wasserspiegel der Everglades um mehr als zehn Zentimeter, das Grasland ist die Heimat unzähliger Mücken, einer Vielzahl von Vogelarten und von Alligatoren. Mittlerweile durchziehen Entwässerungskanäle die weitgehend unzugängliche Landschaft, das ursprüngliche Stammesgebiet der Seminolen.

Die Ansiedlung in der »Big Cypress Seminole Indian Reservation« besteht aus Tankstelle, Feuerwehr, Polizeistation, mehreren verstreut liegenden Wohnhäusern, aber auch Schulen und öffentlichen Gebäuden. Touristen kommen hierher ins »Billie Swamp Safari-Camp«. »Es wurde eingerichtet, um den Besuchern zu zeigen, wie die Seminolen hier draußen in den Sümpfen lebten«, sagt Cindy, eine der 100 weißen Angestellten, die sich um die Neugierigen kümmern. So wie Glenn. Der Mittfünfziger steuert einen der skurrilen Swamp-Buggies – ein Gefährt mit vier riesigen Reifen und Platz für ein Dutzend Fahrgäste – durch das Unterholz der Sümpfe und erzählt über das Öko-System der Everglades und über Krokodile (»beißen nur, wenn sie müssen«). Von Ferne hört man das beständige Dröhnen der »Airboats« – flachen Booten, die von einem Flugpropeller angetrieben werden –, mit denen gleichfalls Touristen über die Wasserwege transportiert werden.

Ruhiger geht es im Ah-Tah-Thi-Ki-Museum zu. Dort wird die Geschichte des Stammes erzählt. Noch in den 1940er Jahren lebten Floridas Indianer vom Verkauf handgenähter Puppen oder vom »alligator wrestling«, dem Schaukampf mit Alligatoren, meist aber von der Sozialhilfe der Bundesregierung. 1957 betrug der Jahreshaushalt des Stammes ganze 11 000 Dollar.

Jimmy O'Toole Osceola, einer der Autoren der Stammesverfassung, berichtet über diese Zeit: »Ich wuchs auf in den Everglades des Collier County. Wir lebten in abgeschiedenen Dörfern fern von Städten und Autostraßen. Die Seminolen hatten noch immer Angst, von der Regierung vertrieben zu werden.« Ähnlich die Erinnerung der über 70-jährigen Laura Mae Osceola: »Das waren harte Zeiten. Wenn Geld da war, dann kam es als Almosen von der Regierung. Ich träumte davon, dass wir eines Tages ökonomisch unabhängig werden würden und nicht mehr die Hilfe der Regierung bräuchten.«

Der erste Schritt in diese Richtung erfolgte Anfang der 70er Jahre: Der Stamm begann mit dem Handel billiger weil steuerbefreiter Zigaretten. Als eigene Nation zahlen die Seminolen bis heute keine Steuern. Durch diesen Handel wuchs der Jahreshaushalt des Stammes bis 1976 auf 4,5 Millionen Dollar. Der Durchbruch aber kam 1979, als die Seminolen eine Bingo-Halle in Hollywood eröffneten. Heute stammen 90 Prozent der Einnahmen aus den mittlerweile sechs Spielhallen.

Doch es gibt auch Kritik an diesem neuen Reichtum: Er zerstöre die indianische Kultur, lande in den Taschen einiger weniger, sei unmoralisch. Vorwürfe, die Moses Osceola wenig anficht. »Wir sind uns der negativen Aspekte des Glücksspiels bewusst«, sagt der ehemalige Stammespräsident und hebt gleichzeitig hervor, dass die Vorteile überwiegen: Der Stamm werde unabhängig von Zuschüssen der Regierung, Tausende von Arbeitsplätzen wurden geschaffen, die ganze Wirtschaft Floridas profitiere davon.

Dem Verdacht, das Geld fließe in einige wenige Taschen, steht formaljuristisch der »Indian Gaming Regulatory Act« entgegen. Der reguliert nicht nur die Einzelheiten des Glückspiels, sondern auch die Verwendung der Einnahmen. Die sollen ausschließlich dafür bestimmt sein, die politische Infrastruktur der Indianer zu finanzieren, soziale Einrichtungen zu schaffen, den allgemeinen Wohlstand des Stammes und seiner Mitglieder zu fördern, ebenso wie die stammeseigene Wirtschaft.

Jeden Monat ein Dividenden-Scheck

Und in der Tat haben die Seminolen eine Vielzahl gemeinnütziger Einrichtungen geschaffen. Das »Gesundheitsministerium« unterhält drei Kliniken, das »Familienministerium« bietet Familientherapie oder Drogenberatung an, auch im »Bildungsministerium« sind eine ganze Reihe von Programmen angesiedelt. Man kann auch Kleinkredite aufnehmen, die direkt mit dem »monthly dividend check« verrechnet werden, denn jedes Stammesmitglied erhält aus den Einnahmen der Spielkasinos einen monatlichen Scheck, derzeit knapp 700 Dollar. Eine Art Grundeinkommen, zu dem der jeweilige Verdienst kommt – alles steuerfrei.

Der Kauf der Hard Rock Café-Kette macht im Übrigen deutlich, dass die Indianer sich auch jenseits der Reservate behaupten wollen. Man will verschiedene wirtschaftliche Standbeine haben. Denn nach der Abhängigkeit von den Hilfsgeldern der Regierung droht die Abhängigkeit von den Einnahmen der Spielhallen. Nicht nur für die Seminolen-Führer ist klar: Der Weg aus dieser Abhängigkeit führt über die Investition der Kasino-Einnahmen in andere Wirtschaftszweige, zum Beispiel in den Erwerb der Hard Rock Cafés. Auch Joe Frank, einer der Seminolen in Big Cypress, meint zu dem Deal, der unter den Ästen der Stammeseiche besiegelt wurde: »Es ist schon in Ordnung, wenn der Stamm sich wirtschaftlich auf das 21. Jahrhundert einstellt.«

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