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Kein Kino, keine Urlaubsreise

Die elementare Grundversorgung von Hartz IV-Betroffenen ist kaum gesichert

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Die elementare Grundversorgung ist für einen Teil der Hartz IV-Betroffenen nicht gesichert. Wie Sozialministerin Dagmar Ziegler (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage sagte, treffe das auf einen »kleinen, aber nicht unerheblichen« Teil der Leistungsempfänger zu. Zwischen 6 und 17 Prozent der Betroffenen mangele es an »elementaren Gütern«.

Dabei berief sich die Ministerin auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Bei »elementaren Gütern« kann es sich laut Ziegler »um ein warmes Mittagessen handeln oder finanzielle Mittel, um rezeptfreie Medikamente bezahlen zu können«. Warum dies so sei, gehe aus der Studie allerdings nicht hervor, sagte die Ministerin. »Es können also sowohl ein echter Mangelfall wie auch die eigenen Prioritäten der Betroffenen die Ursache sein.« Die Gesetzgebung folge dem Prinzip, die Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen stärker zu betonen, »wodurch Probleme im Einzelfall entstehen können«.

Im Rahmen der Studie ist die Verfügbarkeit von Gütern gemessen worden, die für den Lebensstandard relevant sind. Anhand einer Liste von 26 Gütern sei ermittelt worden, was den Menschen besonders wichtig ist und was sie sich tatsächlich leisten können. Dazu zählen die »wichtigsten Bedürfnisse an Nahrung, Kleidung und Wohnung«.

Kein Zweifel besteht für die Ministerin, dass im Bereich der sozialen und kulturellen Teilhabe das Versorgungsniveau für Hartz IV-Empfänger »deutlich geringer« als in anderen Bevölkerungsteilen ist. Ein Besuch von Theater, Kino oder Konzert sei für 61 Prozent der Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht möglich. Noch höher seien die Werte bei Urlaubsreisen und Restaurantbesuchen. Zwischen 72 und 82 Prozent der Betroffenen geben an, sich das nicht leisten zu können. Die Frage sei, inwieweit höherwertige Güter zur elementaren Grundausstattung und Urlaubsreisen zur Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums gehörten, merkte die Ministerin an. Doch sei nicht zu bestreiten, dass mit dieser Lebenslage eine Minderung der Lebensqualität verbunden ist. »Und zwar um so mehr, je länger der Bezug von Grundsicherung andauert.«

Eine Veränderung der Sozialsätze ergibt sich für Ziegler jedoch nicht automatisch aus der Studie. Erst müsse die Überprüfung des Bedarfsbemessungssystems abgewartet werden, das die Daten des laufenden Jahres zur Grundlage nimmt, »um eine Nachjustierung politisch zu entscheiden«. Ein Kriterium sei dabei, dass eine solche Nachjustierung »dem Vergleich mit den Lebensbedingungen von erwerbstätigen Menschen im normalen Lohnsegment standhält«.

Das ist aus Perspektive der Linksfraktion eine sehr kühle Position. Die sozialpolitische Sprecherin Birgit Wöllert unterstrich, dass die Studie eine Ausgrenzung von sehr vielen Menschen belege. »Berücksichtigt man dabei, dass Alleinerziehende mit Kindern besonders stark betroffen sind, handelt es sich hier auch wieder um eine besondere Benachteiligung dieser Kinder.« Das Problem werde zusätzlich dadurch verschärft, »dass auch die Kindergelderhöhung von zehn Euro für diese Familien nicht wirkt, da ja das Kindergeld voll angerechnet wird«. Weil den Hartz IV-Kindern die Erhöhung vorenthalten werde, »vergrößert sich der Abstand dieser Familien für die Teilhabe ihrer Kinder um weitere 120 Euro pro Jahr«.

Auch an diesem Beispiel wird aus Wöllerts Sicht deutlich, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geöffnet wird. »Ich weiß nicht, wie lange die Ministerin noch abwarten will, um das zu erkennen und endlich den nächsten Schritt der längst überfälligen Veränderung in Angriff zu nehmen.«

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