nd-aktuell.de / 08.11.2008 / Brandenburg / Seite 15

»Hundefutter billiger als Medizin«

Kritik der Ärztekammer bei der Landesgesundheitskonferenz / Kinderschutzgesetz geplant

Andreas Heinz
Dicke leben ungesund – aber nicht in der Kunst ND-
Dicke leben ungesund – aber nicht in der Kunst ND-

Gleiche Krankenkassenbeiträge für alle Versicherten. Ist diese Änderung im Zuge der Gesundheitsreform wirklich gerecht? Kassenärztliche Vereinigung (KV) und Ärztekammer betrachten die »Gleichmachung« äußerst skeptisch. Für die meisten Versicherten bedeute diese angebliche Gerechtigkeit eine Verschlechterung. Sie müssten längeres Kranksein teuer bezahlen. Das machte Dusan Tesic, Hauptgeschäftsführer der KV Berlin, gestern während der Landesgesundheitskonferenz im Rathaus Schöneberg deutlich.

»Für 40 Prozent der Versicherten wird sich diese Änderung positiv auswirken, sie zahlen weniger. 60 Prozent aber müssen drauflegen«, kritisierte Tesic. Ärztekammer-Präsident Günther Jonitz machte auf eine zweite große Ungerechtigkeit aufmerksam: »Kassen, die als Folge dieser Veränderung weniger Geld bekommen, werden ihren Versicherten weniger bezahlen. Patienten müssen für weitere Leistungen selbst aufkommen. An diesen Zusatzbeiträgen beteiligen sich aber nicht die Arbeitgeber. Sie bleiben zu 100 Prozent an den Patienten hängen.«

Das sei einer der Gründe, weshalb Berlin die Zustimmung zur Gesundheitsreform verweigere, so Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) vor den rund 250 Medizinern, Vertretern der Heilberufe wie Physiotherapeuten, Krankenkassen und Politikern. »Das Interesse an dieser fünften Gesundheitskonferenz war so groß, dass wir den Tagungsort vom Wissenschaftszentrum in Tiergarten ins Schöneberger Rathaus verlegen mussten«, stellte Lompscher zufrieden fest.

Völlig unverständlich ist für sie wie für Jonitz, dass auf Medikamente immer noch Mehrwertsteuer erhoben wird. »Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Medizin noch mit dieser Steuer belegt wird«, kritisierte er. Der Ärztekammer-Präsident machte das auf einprägsame Art deutlich: »Für Hundefutter und den Playboy gilt eine reduzierte Mehrwertsteuer, auf Medikamente wird der volle Satz von 19 Prozent geschlagen. Also ist Hundefutter billiger als Medizin.«

Positiv hervorgehoben wurde die Planung eines Berliner Kinderschutzgesetzes. »Der Entwurf wird zur Zeit diskutiert. Bis Ende November liegt wahrscheinlich ein Ergebnis vor«, hoffte Lompscher. Dazu gehörten zum Beispiel Nichtraucherschutz sowie Alkohol- und Suchtprävention für Kinder und Jugendliche. Auch Fettleibigkeit bei jungen Menschen und das damit verbundene größere Krankheitsrisiko werde oft noch nicht ernst genug genommen.

Das Thema Kindergesundheit sei immens wichtig. Darauf müsse immer wieder hingewiesen und Ideen sollten auch möglichst schnell in die Tat umgesetzt werden. Gesundheitsdienste funktionieren nur durch Handeln, mahnte die Senatorin. Zur Gesundheit eines Kindes gehöre auch frühestmögliche Bildung. »Je früher der Besuch einer Kita ermöglicht wird, desto besser sind die Bildungschancen.«

Aber auch die medizinischen Angebote müssen für jeden erreichbar sein, war man sich einig. In diesem Zusammenhang machte sich Franz Knieps vom Bundesgesundheitsministerium für Versorgungszentren wie Polikliniken stark. »Wir sollten Patienten nicht mehr von Pontius zu Pilatus schicken müssen«, sagte er. Auch Gemeinschaftspraxen könnten nicht das schaffen, was in Polikliniken angeboten werde.


  • Zu den Themen der Konferenz gehörte auch der demografische Wandel in der Stadt: die Menschen werden älter.
  • Aus diesem Grund erarbeitet das Land unter Federführung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bis Ende 2008 ein Konzept, das für die nächsten Jahrzehnte gelten soll: Was muss getan werden, um älteren Menschen ein attraktives Leben zu bieten, das sie sich auch leisten können?