Kambodscha-Tribunal betritt Neuland

Erstmals Opfer als Nebenkläger zugelassen

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit 1,5 Millionen Euro unterstützte die Bundesregierung die »Opferabteilung« des Kambodscha-Tribunals in Phnom Penh. Der Verwaltungschef des Tribunals, Sean Visoth, und Jürgen Schilling von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterzeichneten vergangene Woche ein entsprechendes Abkommen.

Die Opferabteilung ist ein juristisches Novum in der Geschichte internationaler Tribunale zur Aufklärung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und von Völkermord. Erstmalig können Betroffene solcher Taten vor dem Tribunal als Nebenkläger auftreten. Die Opferabteilung des Tribunals, vor dem gegen Hauptverantwortliche des kambodschanischen Pol-Pot-Regimes (1975-79) prozessiert wird, soll Opfer oder Nachfahren von Opfern über ihre Rechte aufklären, ihnen bei der Beantragung des Status als Nebenkläger behilflich sein und sie vor dem Tribunal anwaltlich vertreten. Zum Anwaltsteam der Abteilung gehört die Berliner Rechtsanwältin Silke Studzinsky. Bisher liegen 2500 Anzeigen und Anträge auf Nebenklägerschaft vor.

Ende Oktober war es mit Hilfe der Opferabteilung des Tribunals gelungen, ein bisher wenig bekanntes Kapitel der grausamen Geschichte der Pol-Pot-Herrschaft öffentlich zu machen: Zwangsehen. Vier Betroffene haben als Nebenkläger Anklagen wegen Zwangsverheiratung erhoben. Diese Anzeigen illustrierten einen Aspekt »der Geschichte des Demokratischen Kampuchea«, der vom Tribunal bisher nicht untersucht worden sei, sagte Silke Studzinsky als Ko-Anwältin der Nebenkläger.

Die vier Männer und Frauen aus der Provinz Kampot geben an, zu einer Gruppe von insgesamt 23 anderen Paaren zu gehören, die seinerzeit zwangsweise verheiratet worden seien. Nach der »Eheschließung« hätten sie in Gemeinschaftsbaracken übernachten müssen und seien von Schergen Pol Pots überwacht worden, die sicherstellen sollten, dass die Ehe vollzogen wird. Eine Weigerung hätte die Einweisung in ein Umerziehungslager zur Folge gehabt. Das habe aber während der Herrschaft Pol Pots nichts anders bedeutet, als umgebracht zu werden, heißt es in der Erklärung der Anwälte der Nebenkläger. Mit den Zwangsehen habe das Regime das bevölkerungspolitische Ziel verfolgt, durch mehr »Kinder für die Revolution« die Bevölkerungszahl zu erhöhen, erklärt Frau Studzinsky.

Die Nebenkläger und ihre Anwälte werden unter anderem aus Mitteln der Bundesregierung unterstützt. Mit dem Beginn der Prozesse wird frühestens für Januar 2009 gerechnet. Als erster wird sich Kaing Guek Eav alias Duch als ehemaliger Chef des Foltergefängnisses S 21 vor Gericht verantworten müssen. In S 21, dem ehemaligen Lyzeum Tuol Sleng in Phnom Penh, waren etwa 14 000 Menschen durch Folter und Mord ums Leben gekommen. Neben Duch sehen der ehemalige Staatspräsident Khieu Samphan, Pol Pots Stellvertreter Nuon Chea, Außenminister Ieng Sary und dessen Gattin Ieng Thirit Anklagen vor den »Außerordentlichen Kammern der Gerichte Kambodschas« (ECCC) entgegen. Diktator Pol Pot selbst war im April vor zehn Jahren gestorben. Gut zwei Millionen Kambodschaner sind während seiner Herrschaft zwischen 1975 und 1979 durch Mord, Folter, Hunger und Krankheit ums Leben gekommen.

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