42 Grad Celsius in Ramadi

Jürgen Todenhöfer klagt den US-Terror in Irak an

  • Franz-Karl Hitze
  • Lesedauer: 4 Min.

Im August 2007 besuchte Jürgen Todenhöfer (67) für fünf Tage Irak. Mit Hilfe Einheimischer reiste er über Damaskus in das von amerikanischen Bombern schwer zerstörte Ramadi, unweit von Bagdad. Er wollte sich dort mit Vertretern des irakischen Widerstandes aus baathistischen, nationalistischen und gemäßigten islamischen Gruppen treffen. Dem Reisenden ging es darum, alle jene Aspekte zu ergründen und zu beleuchten, die in der Berichterstattung über den Irakkrieg von der amerikanischen Besatzungsmacht kategorisch ausgeblendet werden. Dazu war er zwar mit einem gültigen irakischen Visum, aber dennoch undercover unterwegs. Denn eine Akkreditierung bei der US-Army war nur für »embedded journalist« vorgesehen. Das kam für Todenhöfer selbst vonvorne herein nicht in Frage.

Der promovierte Jurist tarnte sich als Arzt. Schließlich wollte er Irak nicht durch die Brille der Besatzer sehen, sondern aus der Sicht der Opfer. Sein Begleiter und Dolmetscher Abu Saeed berichtete ihm, dass von 139 untersuchten Selbstmordanschlägen in Irak nur 18 von Irakern, aber 53 von Saudis, acht von Italienern, je zwei von Belgiern, Franzosen und Spaniern und einer von einem Engländer ausgeführt worden sind. Also 87 Prozent von ausländischen Terroristen, was von den US-Streitkräften bestätigt wird. Abu Saeed verweist auf die Niederlage von Al Qaida in Ramadi. Die Terroristen seien wegen ihrer hemmungslosen Brutalität an der Achtung der Bevölkerung gescheitert, so der Betreuer. Der Dolmetscher hat schon 2003 vier seiner Verwandten verloren, die die Invasoren aus einem US-Hubschrauber erschossen haben. 2004 haben amerikanische Flugzeuge eine Bombe auf das Haus eines seiner Neffen geworfen. Dieser, dessen Frau und seine beiden Kinder seien auf der Stelle tot gewesen. 2005 sei auch ein Onkel von Abu Saeed von einem Humvee, einem gepanzerten Wagen, aus erschossen worden. Die Leiche hätten die Amis erst zwanzig Tage später der Familie vor die Tür gelegt.

Der Deutsche spricht in Ramadi, bei 42 Grad Hitze, auch mit Zaid, einem 22-jährigen Studenten, der dem Widerstand angehört. Zuerst war jener nicht bereit, dem Fremden etwas über seinen Kampf zu erzählen: »Erzählen Sie, dass ich im Widerstand kämpfe. Aber mit Einzelheiten und Fotos kann ich nicht helfen. Oder gehen Sie für mich nach Guantanamo?« Von Zaid wird berichtet, dass er Anfang 2007 in der Ishrin-Straße, beim Vorbeifahren einer Humwee-Patrouille, eine Straßenbombe fernzünden sollte. In dem Augenblick, als sich der Konvoi näherte, setzte sich ein alter Mann direkt gegenüber der Stelle, an der die Bombe gezündet werden sollte, auf einen Stein. Zaid zündete nicht. Er wolle keine Zivilisten töten, sagt er Todenhöfer. Er sei kein Terrorist.

Zaid hat zwei seiner jüngeren Brüder, Haroun und Karim, am helllichten Tage auf offener Straße vor seinen Augen sterben sehen. Amerikanische Scharfschützen haben sie erschossen. Zaid berichtet auch, wie er und vier Mitglieder seiner Gruppe nachts zur 20. Straße gingen, noch vor dem Morgengebet ein Loch am Straßengraben aushoben und dort einen großen Sprengkörper platzierten. Nach zwei Stunden erblickten sie einen amerikanischen Humvee-Konvoi. Als dieser an der entsprechenden Stelle angelangt war, drückte Zaid diesmal ab. Später erfuhr der Student, dass zwei der gepanzerten Militärfahrzeuge von der Bombe zerfetzt worden sind. Drei GI's kamen dabei ums Leben. Mehrere wurden verletzt abtransportiert.

In Gesprächen mit anderen Widerstandskämpfern erfuhr Todenhöfer, dass diese pro Woche über tausend militärische Operationen, größere und kleinere, durchführen. Dabei nutzen sie neben alten Waffen der irakischen Armee auch moderne Waffen, die die USA großzügig und ohne besondere Kontrollen nach der Invasion im Lande verteilt hätten. Ein 42-Jähriger namens Mohammed berichtet, dass die US-Soldaten bereits hunderttausende Zivilisten in Irak getötet hätten. »Gegen diesen Terrorismus kämpfen wir.«

Todenhöfer, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, der auf eigene Rechnung in Irak weilte, bezieht mit diesem Buch persönlich Stellung gegen den Krieg. Sein Fazit: Hauptursache für den Terrorismus ist eine über 200-jährige Tradition von Kolonialismus und Neokolonialismus, von Ignoranz und Herablassung in den Beziehungen von christlichem Okzident zu islamischem Orient. Er plädiert leidenschaftlich für eine Änderung der Anti-Terrorpolitik des Westens. Das Autorenhonorar für seinen Bestseller spendet er für ein israelisch-palästinensisches Versöhnungsprojekt sowie ein Hilfsprojekt für irakische Flüchtlingskinder.

Jürgen Todenhöfer: Warum tötest du, Zaid? C. Bertelsmann Verlag, München 2008. 335 S., geb., 19,95 EUR.

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