»In der Krise boomen wir«

Finanzdesaster wirkt sich bis in die Parzellen aus, bestätigt der Landesverband der Gartenfreunde

  • Lesedauer: 5 Min.
Peter Ehrenberg ist Präsident des Landesverbandes der Gartenfreunde Berlins – und damit Vorsitzender von rund 76 000 Kleingärtnern, die über 3000 Hektar Fläche und damit fast 3,5 Prozent der Stadtläche verfügen. Für ND sprach Martin Kröger mit ihm über Auswirkungen der Finanzkrise auf die Siedlungen und ihr soziales Gefüge. Immerhin wird auch hier seit weit über 100 Jahren Kleingartenanbau betrieben.
»In der Krise boomen wir«

ND: Die Finanzkrise treibt die Menschen zur Vorsorge. Man hört von immer mehr Bürgern, die sich aufgrund der schlechten ökonomischen Lage einen Kleingarten zulegen wollen.
Ehrenberg: Es ist zwar Herbst, aber im Sommer haben wir das durchaus mitbekommen. In unsicheren Zeiten ist es normalerweise nicht üblich, sich eine Immobilie zu beschaffen. Man weiß nicht, ob ein Arbeitsplatzwechsel oder gar Arbeitslosigkeit bevorstehen. Das kann alles schnell eintreten. In einer solchen Situation ist es schwierig, Verpflichtungen, die ein Immobilienerwerb mit sich bringt, zu erfüllen. Dennoch wollen die Leute nicht auf das Grün verzichten.

Haben Sie in anderen Wirtschaftskrisen ähnliche Tendenzen bemerkt?
Das ist immer wie eine Welle. Wenn es wirtschaftlich schlecht läuft, geht es uns gut, dann boomen wir. Wir haben in solchen Perioden keine Probleme mit Verpachtung. Zudem werden die Gärten intensiver genutzt. Nicht zuletzt durch den Obst- und Gemüseanbau, der wesentlich stärker betrieben wird, als wenn die Welt super in Ordnung ist.

Sie arbeiten selbst in einer Gruppe Ihres Verbandes mit, die die Tradition der Gartenfreunde in Hinblick auf gegenwärtige Probleme aufarbeiten möchte.
Wir widmen uns der Erinnerungskultur. Angefangen mit der Pflanzervereinigung, die sich vor 200 Jahren in Kappeln in Schleswig-Holstein bildete. Uns interessieren überdies die sozialen Bindungen, die sich in den Kleingartengemeinschaften verfestigt haben. Aus unserer Geschichte gewinnen wir Erkenntnisse, die uns auch heute nützlich sind. Etwa welche Lehren es gab, als in früheren Zeiten Menschen wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation auf die Straße gegangen sind.

Davon scheint die Bevölkerung zur Zeit noch weit entfernt zu sein.
Bei uns geht es natürlich auch um die Suche nach Argumenten, um vernünftige Pachtzinsregelungen hinzubekommen und zu stabilisieren – auch in Krisenzeiten. Derzeit ist das zwar nicht so wichtig, aber für die nächsten Verhandlungen müssen wir gut vorbereitet sein.

In Berlin gab es die Tradition der Arbeiter-, Rotkreuz- und Armengärten auch schon vor der Gründung ihres Verbandes im Jahr 1901. Was hat sich seitdem geändert?
Die Bedeutung der Kleingärten besteht darin, den sozialen Status aufrechtzuerhalten. Während der Kriege und in der Zwischenzeit, der Weimarer Republik, ging es den Menschen meistens materiell schlecht.

Dieser Aspekt ist heutzutage eher nicht vorrangig, weil sich die Menschen mehr nach sozialer Bindung sehnen, die sie in der Familie und in der Gesellschaft häufig nicht finden.

Im Kleingarten herrscht eine utopische Idealgesellschaft?
Auch im offenen grünen Wohnzimmer muss man sich korrekt verhalten und auf die Nachbarschaft Rücksicht nehmen. Ich kann die Wohnungstür zumachen, im Garten kann ich das nicht – die Leute stehen im ständigen Kontakt. Nachbarschaftshilfe wird gepflegt – bis hin zum Trauerfall. Die Menschen fühlen sich geborgen durch diese nachbarschaftliche Zusammengehörigkeit. Oftmals wachsen in dieser Umgebung Kinder auf. Es entstehen Freundschaften im Grünen, die 20, 30 Jahre oder noch länger halten.

Welche Funktionen erfüllen die Gärten über das Soziale hinaus?
Die Kleingärten sind die reinsten Klimabewahrer, da durch die Grundstücke für einen stetigen Luftaustausch gesorgt wird. Darüber hinaus schaffen wir Flächen, die der Naherholung dienen, und für die die Stadt gar nichts finanziell aufwenden muss. Im Gegenteil. Das Grün, das wir gestalten, beschert der Stadt durch die Pacht noch zusätzliche Einnahmen. Dabei sind die Gärten wie Parks offen für die Bürger und nicht nur für die Kleingärtner. Flora und Fauna werden mit 600 Arten in ihrem Reichtum in der Stadt erhalten. Aus diesem Grund sind wir der internationalen Umweltkonferenz Countdown 2010 beigetreten.

Ein Großteil der Flächen befindet sich im Besitz der Stadt. Haben Sie keine Angst, dass dieses Tafelsilber verscherbelt wird?
Sicher. Wir diskutieren dauernd, wie es weitergeht. Einmal geht es um den so genannten Kleingartenentwicklungsplan, den wir selber forderten, um uns langfristig abzusichern.

Außerdem bin ich Mitglied in einer Arbeitsgruppe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, wo wir zur Zeit noch für 20 verbleibende Kleingartenanlagen, die nicht in den Schutzfristenkatalog kamen, nach Alternativen suchen, um auch sie in diesen Katalog einzubringen. Das bezieht sich jedoch alles auf landeseigene Flächen. Es gibt aber auch private Verpächter.

Wie steht es mit denen?
Die Kleingartenkolonie Oeynhausen in Wilmersdorf etwa wurde an den US-amerikanischen Investor Lone Star veräußert – obwohl die Post als ehemaliger Grundstückseigentümer uns als Verkäufer zugesagt hatte, dass sie uns zuerst anspricht, bevor sie verkauft. Dort sind über 300 Pächter betroffen. Leider ist das nicht geschehen. Nach dem geltenden Planungsrecht haben wir aber eine gute Position, die uns hoffen lässt.

Auch an der Württembergischen Straße, ebenfalls in Wilmersdorf, wollte eine US-Bank auf dem Grundstück einer Kleingartenanlage investieren.
Das ist nicht so einfach für den Investor. Die Kleingärtner haben gute Chancen, dass dort ein Großteil der Pächter bleiben kann. Offenbar muss die Investmentbank Morgan Stanley das Projekt, dort auf dem Gelände Townhouses und Lofts zu bauen, aufgeben, weil sie aufgrund der Finanzkrise zur Hausbank umgeschrumpft wurde. Zur Zeit probiert sie, das Gelände statt für die bezahlten zwölf Millionen Euro für 20 Millionen zu veräußern. Ich hoffe, es gelingt ihr nicht. Aber daran sieht man, dass es nur um reine Spekulation geht und das zu Lasten der Kleingärtner und der Betroffenen in dieser Gegend, die ein Spielfeld des Kapitals ist.

Womit wir wieder bei der Finanzkrise sind. Was können Sie für den Erhalt der Laubenpieperkolonien tun?
Der Landesverband befindet sich im Gespräch mit der Stadtentwicklungssenatorin. Auch mit dem Regierenden Bürgermeister sind wir in der Diskussion. Leider verweisen beide auf die Zuständigkeit der Bezirke. Ebenso planen wir ein Gespräch mit dem Investor Lone Star, dem Bahnkonzern und anderen Besitzern von Bundesimmobilien.

Klar ist aber auch, dass die Kleingärtner nicht selber als Investoren auftreten können. Wir hoffen, dass sich die ganzen Sachen in Luft auflösen – und wir bleiben können.

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