nd-aktuell.de / 14.11.2008 / Kultur / Seite 11

Dichte und Dauer

Berlin: Erinnerung an Herbert Tucholski

Klaus Hammer

Tausendmal ist ihm die Frage gestellt worden: »Sind Sie verwandt mit dem …« Und im Tausendjährigen Reich wurde ihm auch nahe gelegt, den Namen des »berüchtigten jüdischen Literaten« abzulegen, mit dem er zwar nicht verwandt war, den er aber zeitlebens bewunderte. Nach dem Studium in Berlin und Dresden bereiste Herbert Tucholski 1927/29 und 1939/40 Rom, Florenz und die Toskana, nahm die Seheindrücke auf, erst später entstanden Zeichnungen und Grafiken.

Im Atelierhaus der Berliner Klosterstraße, der Gemeinschaft der Künstler, die Gegenakzente zur Kunst der Nationalsozialisten setzten, war er mit den Malerkollegen Werner Heldt und Werner Gilles, den Bildhauern Ludwig Kasper und Hermann Blumenthal, vor allem aber mit der verehrungswürdigen Käthe Kollwitz verbunden.

Nach 1945 initiierte er viele Ausstellungen, u.a. die große Gedächtnisausstellung für Käthe Kollwitz 1946, und verfasste kunsttheoretische Beiträge zu kompositorischen Gesetzmäßigkeiten. Da ihm Italien verschlossen blieb, wählte er nun Bulgarien und die Schwarzmeerküste als Reiseziel. In den 1960er Jahren wurde er künstlerischer Leiter der Zentralen Werkstätten für Grafik in Berlin und war hier jüngeren Künstlern ein anregender Mentor. 1984 starb er 88-jährig.

In der Ausstellung in der Berliner Galerie parterre werden etwa 70 Blätter aus den Jahren 1912 bis 1970, Holzschnitte, Radierungen und auch Zeichnungen aus dem Bestand der Kunstsammlung der Akademie der Künste, aber auch bisher unbekannte Arbeiten aus Privatbesitz gezeigt. Tucholskis Werk kennt nur wenige Motive: die Landschaft in der Verbindung mit der Architektur, die südliche Landschaft Italiens oder Bulgariens, die norddeutsche Küste, Landschaften in und um Berlin, Fluss- und Hafenlandschaften.

Faszinierend seine Holzschnitte: »Italienischer Fischer« (1932), »Fischerboote« (1934), »Volendam, Boote im Hafen« (1934), »Monterosso« (1933). Der flächige Holzschnitt fordert monumentale Formen und erzielt kontrastreiche Wirkungen. Das Motiv wird zum konzentrierten Mittelpunkt der Darstellung.

Die Arbeiten des Künstlers scheinen wie die der Impressionisten aus der Anschauung entstanden zu sein und geben doch das genaue Gegenteil: nicht den flüchtigen Augenblick, nicht das Vorüberhuschende und Entgleitende der Erscheinung, sondern deren Dichte und Dauer. Eine neue geometrische Ordnung, eine energische Konturenführung, architektonische Klarheit, eine nahezu kubische Festigkeit und Formgebung stehen jetzt im Kunstwerk selbstständig gegenüber der Natur und verleihen diesem eine gewisse Klassizität und Zeitlosigkeit.

Tucholski war ein Virtuose der Technik: Er verwendete in seinen Holzschnitten zum einen den reinen Schwarz-Weiß-Kontrast ohne Zwischentöne und Übergänge als Gestaltungsmittel. Dann wieder beeindruckt die verhaltene Durchlichtung und feine Farbabstimmung. Seine Radierungen und Aquatinten wirken durch feinste Graunuancen und eine bestechend präzise Komposition, die jedes Sujet zu einem Erlebnis von Harmonie für den Betrachter werden lassen.

Hochmusikalischer Mensch, der er war, sind Tucholskis Grafiken mit der musikalischen Fuge als der »höchstentwickelten Kunstform eines konzentrierten Stils« (Lothar Lang) verglichen worden. Besonders in den selteneren Figurendarstellungen wird aus klar umgrenzenden Flächen zugleich der Eindruck des Plastischen vermittelt. Mit der Vielfalt der Ausdruckswerte in seinen Hoch- und Tiefdrucktechniken hat Tucholski der Berliner Grafik zu einem Höhepunkt verholfen. Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung ist auch ein von Gudrun Schmidt, der langjährigen Leiterin der Kunstsammlung der Berliner Akademie der Künste, verfasstes Buch erschienen. Es wurde im Berliner Kupferstichkabinett einem zahlreich erschienenen Publikum vorgestellt.

Die Publikation enthält neben ausgezeichnet wiedergegebenen Abbildungen jeweils Beiträge von Gudrun Schmidt und dem Bildhauer, Zeichner und Grafiker Wieland Förster und eine ausführliche Lebenschronik Tucholskis, in die die Autorin auch Zitate aus Selbstzeugnissen des Künstlers eingebracht hat. Ein Band zum Blättern, zum Sinnen und Verweilen.

Herbert Tucholski – Faszination Stille. Galerie parterre, Danziger Str. 101, Berlin, Mi-So 14-20 Uhr, bis 23. 11. Faltblatt (Text von Werner Schade). Gudrun Schmidt: Herbert Tucholski – Ratio und diskrete Leidenschaft. Blätter von Berlin und der Ostseeküste. Berlin: Roese-edition im MCM ART Verlag.

Am 23.11. um 14, 16 u. 18 Uhr öffentliche Führungen, Eintritt frei.