nd-aktuell.de / 14.11.2008 / Politik / Seite 10

Von unten oder gar nicht

Günter Frech

»Die Franzosen haben die Bastille gestürmt, die Deutschen haben die Verwaltungsgerichtsbarkeit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfunden.« So schreibt der Staatsrechtler Bodo Pieroth im Vorwort seines juristischen Standardwerks zum Polizei-, Ordnungs- und Versammlungsrecht.

Derzeit werden Unterschriften für eine Petition an den Bundestag gesammelt. Der »möge beschließen, den politischen Streik (...) per Gesetz den Gewerkschaften zu ermöglichen«. Tut der Bundestag das, ist zu befürchten, dass es dazu jede Menge Durchführungsbestimmungen gibt. Die Bittschrift (ND berichtete) ist gut gemeint, in der Realität aber wenig zielführend. Wer glaubt, nur weil der Generalstreik hierzulande nicht ausdrücklich erlaubt ist, werde er nicht praktiziert, und wenn er erst erlaubt ist, werden die Massen auf die Straßen strömen, der irrt gewaltig!

Das Recht auf Streik leitet sich aus Artikel 9, Absatz 3 (Koalitionsfreiheit) des Grundgesetzes ab – der Streik ist also ein verbrieftes Grundrecht. In der Regel zielt er darauf ab, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Ohne dieses Recht seien Tarifverhandlungen nichts anderes als »kollektives Betteln«, so eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von 1984. Im Klartext: Kollektive Bettelei ist hierzulande verboten!

Arbeitskämpfe sind in der Juristensprache eine »bewegliche Rechtssache«. So wird Recht – oder Unrecht – erst gesprochen, wenn Klagen kommen. Deshalb können Streikende sehr kreativ sein. Einzelne Eingriffe erschweren zwar den Gewerkschaften einen Streik oder machen ihn unmöglich. So ist es etwa an Hochschulen untersagt, für die Festeinstellung befristet Beschäftigter zu streiken. Das tangiere die »Freiheit der Wissenschaft«, so die Rechtsprechung. Oder der berühmt-berüchtigte »Antistreikparagraph« 116 des alten Arbeitsförderungsgesetzes (jetzt wortgleich Paragraph 146 Sozialgesetzbuch III), der der Bun-desagentur für Arbeit untersagt, kalt Ausgesperrten Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld zu zahlen. Doch das Nichtvorhandensein eines gesetzlichen Regelwerkes zum Streik hat sich bewährt. Der Massenstreik kommt entweder von unten oder er kommt gar nicht.