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Die Weiberwirtschaft von St. Märgen

In einem kleinen Ort im Hochschwarzwald wollten vor einigen Jahren ein Dutzend Landfrauen ihren Dorfkern wiederbeleben und die Frauengemeinschaft im Dorf stärken. Heute betreiben sie ein bundesweit einmaliges Projekt.

  • Patrick Kunkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Idee zu dem Projekt hatte Beate Kynast, die auch heute noch hinter dem Tresen steht.
Die Idee zu dem Projekt hatte Beate Kynast, die auch heute noch hinter dem Tresen steht.

St. Märgen liegt auf einem Hochplateau im Schwarzwald. Blauer Himmel, ein frischer Wind weht, im Klosterhof ist der Rasen akkurat rasiert und an den Holzbalkons der Schwarzwaldhäuser ringsum hängen rosa, rote und weiße Geranien. Touristengruppen schlurfen durch den Ort, die Gasthäuser heißen »Zum Rössle« oder »Hirschen« – kurz: Tradition gibt es hier satt und wer das mag, kommt gewiss auf seine Kosten. Während es für Touristen an Angeboten nicht mangelt, haperte es lange an Treffpunkten für die Bewohner: »Unser Dorf war nicht immer sehr lebenswert«, sagt Beate Kynast. »Die Stammtische sind voller Männer. Aber als Frau konnte man hier Nachmittags keinen Kaffee trinken gehen.« Das ist inzwischen anders. In dem Luftkurort gibt es heute ein Café, das von Landfrauen betrieben wird – und das ausschließlich Landfrauen beschäftigt. Ein bundesweit einzigartiges Gastronomieprojekt. »Bei uns gibt es jetzt die Nachmittagsstammtische für Frauen.«

Beginn einer neuen gastronomischen Ära

Als vor fünf Jahren das ehemalige Grandhotel »Goldene Krone« abgerissen werden sollte, gründeten elf Dorfbewohner den Verein »Lebendiges Dorf«, ihr Ziel war die Wiederbelebung des Dorfkernes und der Erhalt der dörflichen Infrastruktur. Sie kauften das halbverfallene Haus aus dem Jahr 1757, das mitten im Ortskern steht, und sanierten es aufwändig. Ein Café im Erdgeschoss sollte zum neuen Treffpunkt für die Dorfbewohner werden. Während der Arbeiten versorgten die Landfrauen aus St. Märgen die zahlreichen freiwilligen Helfer mit Hefezöpfen und einer »barmherzigen Suppe«, wie es sie einst in der Küche des St. Märgener Klosters gegeben hatte. »Das war der Beginn einer neuen gastronomischen Ära«, sagt Beate Kynast, die schon als Bilanzbuchhalterin, Fotografin und Designerin gearbeitet hat. Vor vier Jahren eröffnete sie gemeinsam mit anfangs zwölf Landfrauen das »Café Goldene Krone« in den historischen Räumen. Heute sind dort 23 Frauen aus dem Dorf als Teilzeitkräfte beschäftigt. Die Hälfte von ihnen sind Bäuerinnen, die so ihr Familieneinkommen aufbessern. Unterstützung gab es vom Landfrauenverband, der Gemeinde und vom Land Baden-Württemberg. »Seit vier Jahren besteht unser Projekt und das Café ist immer voll«, sagt Kynast. »Es geht uns darum, eine persönliche Atmosphäre zu schaffen, statt einem anonymen Service am Gast.«

Das Konzept, das den St. Märgener Landfrauen stets volle Gast-räume beschert, heißt Tradition und Handarbeit: »Wir haben keinen Koch, keinen Konditor und kein Profi-Service-Personal«, sagt Beate Kynast. Früher wurde in der Goldenen Krone Nouvelle Cuisine serviert, heute »machen wir das, was wir am Besten können: Wir machen es wie zu Hause. Das schätzen auch unsere Gäste.« Verarbeitet werden ausschließlich frische und regionale Produkte – ein Prinzip, das sich viele Gastronomen zwar auf die Fahnen geschrieben haben, aber die Landfrauen nehmen es besonders genau: Industrieprodukte werden aus Prinzip nicht verarbeitet, Beate Kynast glaubt, dass ihr Café »deutschlandweit vermutlich die einzige Speisekarte ohne Zusatzstoffe« hat. Außerdem unterstütze man auf diese Weise lokale Direktvermarkter: »Wir zahlen anständige Preise.« So stammt der Käse von einem Bergbauern und das Holzofenbrot vom Bäcker im Ort, Obst und Gemüse liefern Bauern aus der Gegend und die selbst gebraute Limonade wird aus einem Sirup hergestellt, den eine Landfrau in ihrer eigenen Früchteküche einkocht.

Auf der Karte finden sich klassische Gerichte der Region: Bauernbratwürste, selbst gemachte Nudeln, frische Salate, Überbackenes und die »barmherzigen Suppen«, die es auch als Terrine gibt, aus der die Gäste dann gemeinsam löffeln können. Eine Eigenkreation der Landfrauen ist der »Käsemichel«, eine herzhafte Mahlzeit, die aus einem jungen Weichkäse nach Münsterart besteht, der in einem Teigmantel gebacken wird. »In manchen Monaten verkaufen wir mehr als 450 Stück Käse, die wir servieren oder zum Mitnehmen anbieten.« Den »Käsemichel« haben sich die Landfrauen patentieren lassen, bald soll er als Spezialität vertrieben werden: »Wir wollen auch Natur- und Feinkostläden damit beliefern und hoffentlich alle Berghütten im Schwarzwald«, sagt Beate Kynast. Das zweite Standbein des Café ist inzwischen der angeschlossene Laden, in dem Produkte von Direktvermarktern aus dem Schwarzwald verkauft werden. Für die Zukunft können sich die Landfrauen vorstellen, eine eigene Nudelmanufaktur einzurichten.

Gewinn fällt bislang keiner ab

Und dann gibt es noch die Kuchen – »an einem starken Sonntag verkaufen wir etwa 20 Kuchen und Torten«, sagt Kynast. Manchmal stehen die Leute Schlange, um einen Platz zu ergattern. Und dabei haben die Landfrauen bereits die Öffnungszeiten drastisch beschränkt: Sonntags nur noch von 14 bis 18 Uhr. »Es gibt Tage, da war hier so viel los, dass die Menschen ungeduldig und aggressiv wurden.« So aber möchte Kynast sich und ihre Mitarbeiterinnen nicht behandeln lassen, außerdem: Handarbeit dauert. »Mit diesem Projekt wollen wir auch den Menschen in den Mittelpunkt rücken, dazu gehört, dass die Frauen anständig behandelt werden. Wenn wir mit den Gästen kommunizieren, stoßen wir auf viel Verständnis. In diesem Gewerbe gibt es das sonst selten.« Die eingeschränkten Öffnungszeiten machen aber auch wirtschaftlich Sinn: »In vier Stunden machen wir so viel Umsatz wie vorher von 10 bis 18 Uhr. Es komprimiert sich nur. Und wir sind in der Lage, eine anständige Qualität zu liefern.«

Und genau wegen dieser Qualität pilgern sie inzwischen alle in den Hochschwarzwald: Tagesgäste aus der Schweiz und dem Elsass, Ausflügler aus Freiburg und der näheren Umgebung – und natürlich die Dorfbewohner, die jetzt endlich wieder einen Treffpunkt haben. »Anfangs stieß unser Projekt auf sehr viel Skepsis, kaum einer hat daran geglaubt, dass wir das erste Jahr überleben. Denn wir sind Laien und vor allem, wir sind Frauen.« Die Vorbehalte sind Anerkennung gewichen: Der Gastronomiekritiker Wolfgang Abel habe sich mit den Worten »Weiberwirtschaft in St. Märgen – endlich Land in Sicht« sehr positiv geäußert, berichtet Kynast stolz. Und im Jahr 2005 wurde das Café mit dem Landwirtschaftspreis für unternehmerische Innovationen ausgezeichnet und inzwischen empfängt Beate Kynast fast wöchentlich Besuchergruppen, die sich über das Projekt informieren wollen: Gemeinderäte, Verbände, Landfrauen und andere Gruppen, die in ihren Dörfern vor ähnlichen Problemen stehen, kommen nach St. Märgen. Um zu sehen, wie es gehen kann.

Die Landfrauen in St. Märgen diskutieren derzeit darüber, in welcher Form sie ihr »Café Goldene Krone« künftig bewirtschaften wollen. Denn bei allem Erfolg gibt es auch ein Problem in St. Märgen: »Das Café trägt sich zwar, wir schreiben schwarze Zahlen«, sagt Beate Kynast, die seit vier Jahren die alleinige unternehmerische Verantwortung inne hat. »Aber es ist nicht profitabel«. Die hochwertigen Lebensmittel sind extrem teuer und die konsequente Handarbeit verursacht hohe Personalkosten. Beate Kynast hat zwar neue Arbeitsplätze für Landfrauen ermöglicht, sie selbst arbeitet hingegen ohne Lohn, dafür reicht der Gewinn nicht aus. Sie lebt von dem Geld, das ihr Mann nach Hause bringt – und man merkt ihr an, dass ihr das etwas unangenehm ist. Um Profite zu erwirtschaften, müssten die Landfrauen das Konzept ändern. Doch das wollen sie nicht. Sie möchten daher die Verantwortung in Zukunft auch juristisch auf viele Schultern verteilen. »Eine Landgenossenschaft«, überlegt Kynast, »wäre auch denkbar.« Sie würde auch gut zu dem Projekt passen.

Schmuckstück in Frauenhand: Das »Café Goldene Krone« in St. Märgen ist weit über den Schwarzwald hinaus bekannt.
Schmuckstück in Frauenhand: Das »Café Goldene Krone« in St. Märgen ist weit über den Schwarzwald hinaus bekannt.
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