Vom Wunderkind zum Sorgenkind

Die Internationale Raumstation ISS umkreist seit 10 Jahren die Erde / Ihre Zukunft ist ungewiss

  • Jacqueline Myrrhe
  • Lesedauer: 4 Min.

Um es vorweg zu nehmen: es war ein Wunschkind. Die geistigen Eltern haben jahrelang Pläne geschmiedet, Konzepte entworfen, internationale Experten in die Entscheidungsfindung einbezogen und am Ende viele Paten für das Kind gefunden, das bis heute namenlos ist: die Internationale Raumstation ISS.

Am 20. November 1998 brachte eine Proton-Trägerrakete von Baikonur aus unter dem Beifall der »Eltern« das russische Modul »Sarja« – »Morgenröte« – in eine Erdumlaufbahn. Dies war die Geburtsstunde der ISS (International Space Station).

Das Projekt einer Raumstation wurde 1984 vom damaligen Präsidenten der USA, Ronald Reagan, vorgeschlagen. Der wollte damit die sowjetische Dominanz im Erdorbit überwinden und lud die Verbündeten im Westen zur Mitarbeit ein. Westeuropa, Kanada, Japan und Brasilien zeigten sich interessiert. Infolge steigender Kosten stand das Raumstationsprogramm allerdings bald vor dem Abbruch. Doch mit dem gesellschaftlichen Umsturz in Osteuropa und der Sowjetunion ergab sich plötzlich die Chance, eine Raumstation des Westens gemeinsam mit Russland zu schaffen.

1993 unterschrieben die USA und Russland das zukunftsweisende Abkommen für den Bau der ISS, im Januar 1998 unterzeichneten die Regierungsvertreter aller beteiligten Nationen in Washington das »Zwischenstaatliche Abkommen zur Kooperation für die Raumstation«. Die USA schlug als Namen »Alpha« vor, den die Russen ablehnten, da die ISS kein »Erster« ist, es gab schon andere Raumstationen zuvor.

Nach dem 20. November 1998 folgte schnell ein Start dem anderen. Schon einen Monat später dockte die NASA das erste Bauteil der USA, den Verbindungsknoten »Unity« (Einheit), an »Sarja« an. Im Sommer 2000 folgte das russische Segment »Swesda« (Stern). Seit Oktober 2000 ist die Station auch ständig bemannt. Hinzu kam das US-amerikanische Forschungsmodul »Destiny« (Schicksal), Roboterarme, Solarbatterien, Luftschleusen, Traversen, Wärmetauscher, jede Menge Ausrüstung und Proviant. Trotz der üblichen Verzögerungen schien alles nach Plan zu laufen. Die beiden paritätischen Missionskontrollzentren im Moskau und Houston etablierten sich als eingespieltes, kooperatives Team. Die Beteiligten sprachen von einer neuen Ära der Zusammenarbeit und eine Zeit lang hatte es den Anschein, als wenn selbst einer groß angelegten weiteren Eroberung des Weltraums in internationaler Zusammenarbeit nichts mehr im Wege steht. William Shepherd, erster Kommandant auf der ISS, äußert sich dazu: »Die ISS lehrt uns, auf der technischen Ebene miteinander zu kooperieren. Doch das Wichtigste ist, dass wir einander respektieren, als Person, als Nation und akzeptieren, dass es kulturell bedingt, verschiedene Herangehensweisen bei der technischen Problemlösung gibt.«

Das ISS-Projekt wurde hart getroffen, als die Raumfähre »Columbia« am 1. Februar 2003 beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zerbrach. Der Aufbau der ISS ist untrennbar mit dem Space Shuttle verbunden. Die Module der westlichen Partner sind auf die Nutzlastbucht der Raumfähre zugeschnitten. Überdies kann nur das Space Shuttle nennenswerte Frachten wieder zurück zur Erde bringen. Auf russischer Seite existiert bis heute nur das »Sojus«-Raumschiff für den Rücktransport der Mannschaft zur Erde. Die russischen »Progress«-Transporter bringen Güter lediglich zur ISS, aber nicht zurück. Nach dem Verlust von »Columbia« wurde die Mannschaftsstärke vorübergehend reduziert und alle Fracht für den Rücktransport auf der Station zwischengelagert. Der Aufbau der Raumstation stoppte für fast zweieinhalb Jahre. Erst im Sommer 2005 steuerten die verbliebenen Raumfähren wieder die Station an und der Aufbau ging weiter.

Anfang 2008 konnte endlich der europäische Beitrag zur ISS montiert werden: das Forschungslaboratorium »Columbus«. Am 3. April koppelte der erste europäische Raumtransporter »Jules Verne« an die Station an. Das japanische Forschungsmodul »Kibo« (Hoffnung) folgte im Juni 2008.

Doch trotz dieser Fortschritte ist aus dem »Wunschkind« inzwischen ein Sorgenkind geworden, dessen Eltern sich überfordert fühlen. Die NASA, die mit geschätzten 100 Milliarden US-Dollar den finanziellen Löwenanteil an der ISS trägt, hat inzwischen andere Pläne: Der Betrieb der riskanten Space Shuttles soll bis zum Jahr 2010 eingestellt werden und der scheidende Präsident George W. Bush hat ein Programm für die bemannte Rückkehr zum Mond mit einem neuen Raumflugsystem angeschoben. Damit hat er der NASA einen Bärendienst erwiesen. Die Gelder für die Mondexploration sollen aus den NASA-Budgets kommen, die bislang vom ISS- und Shuttle-Programm beansprucht werden. Die Einstellung des Flugbetriebs mit dem Space Shuttle wird ab 2010 Finanzen frei setzen, gleichzeitig aber auch die USA für mindestens fünf Jahre ohne bemannten Zugang zum Kosmos lassen. Erst 2015 wird das neue Raumschiff »Orion« für bemannte Missionen zur ISS und weitere fünf Jahre später zum Mond bereit stehen. Als Folge daraus wird die USA notgedrungen von Russland Sitze auf deren »Sojus«-Raumschiffen kaufen müssen. Ein Vorgang, der dem US-amerikanischen Steuerzahler nur schwer zu vermitteln ist. Schon kurz nach der »Columbia«-Katastrophe hat die NASA die wissenschaftliche Forschung auf der ISS eingestellt. Kurzzeitig wollte die NASA bereits damals abrupt aus dem ISS-Programm aussteigen. Doch da haben die internationalen Partner interveniert, allen voran Europa und Japan. Gegenwärtig werden Szenarien ausgearbeitet, die eine Verlängerung der Lebensdauer der ISS bis 2020 vorsehen. Das wird ohne Space Shuttle schwer werden, selbst dann wenn Europa die ATV-Flüge forciert und der japanische Raumfrachter HTV erfolgreich fliegt. China hatte in der Vergangenheit dem internationalen Teenager ISS eine Patenschaft angetragen. Bislang konnten sich die »Eltern« nicht dazu durchringen.

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