»Die SPD braucht offensichtlich ihre Mitglieder nicht«

Der langjährige IG Metall-Spitzenmann Frank Teichmüller trat nach 36 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD aus

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Rauch aus Hessen ist noch lange nicht verzogen, da tritt in der SPD an der Alster ein neuer Brandherd zutage. Der Gewerkschafter Frank Teichmüller, bis 2004 Bezirksleiter der IG Metall Küste, trat nach 36 Jahren Mitgliedschaft aus dem Hamburger Landesverband aus.

Teichmüllers Anlass für den SPD-Austritt: mangelnde Transparenz bei der Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl in seinem Wahlkreis Eimsbüttel. »Es darf in der Hamburger SPD keine CSU-Verhältnisse geben, wo die Mitglieder aus der Zeitung erfahren, was Sache ist«, begründete Teichmüller seinen Schritt. Mit dem 64-Jährigen, der sich im Verein »Mehr Demokratie« für Volksentscheide engagiert, trat auch seine Ehefrau Ingrid aus der Partei aus.

Vor Wochenfrist hatte Teichmüller in einem offenen Brief vom SPD-Landesvorsitzenden Ingo Egloff gefordert, die Kampfkandidatur des Juso-Landeschefs Daniel Ilkahinpour gegen den amtierenden Eimsbütteler Bundestagsabgeordneten Niels Annen zu stoppen. Der 27-jährige Ilkahinpour zählt zum rechten Parteiflügel. Nach dem vermeintlichen Linksruck der Nachwuchsorganisation auf ihrem Bundeskongress im Oktober erklärte er, »die Bundesjusos in die Sozialdemokratie zurückführen« zu wollen. Streit ist aber nicht um seine Positionen entbrannt, sondern um die Art und Weise seiner Kandidatur.

Ausgang der Abstimmung ist offen

Der 35-jährige Annen vom linken SPD-Flügel konnte lange davon ausgehen, dass er einziger Bewerber um das Eimsbütteler Mandat sein würde. Erst als in den acht Distrikten des Hamburger Innenstadtbezirks die Delegierten für den Entscheidungsparteitag bereits nominiert waren, meldete sich Ilkahinpour und erklärte seine Kandidatur. In der Zwischenzeit hatten zahlreiche Vertraute des Juso-Chefs Delegiertenplätze erlangt, weil Ilkahinpour einerseits ihm verbundene Neumitglieder geworben hatte und andererseits viele Annen-Anhänger die Distriktversammlungen im Glauben an eine unbestrittene Wahl ihres Kandidaten geschwänzt hatten. Auch Kritiker Teichmüller fehlte bei der Delegiertenwahl. Der Ausgang der heutigen Abstimmung zwischen Annen und Ilkahinpour gilt daher als offen. »Nur weil viele Mitglieder sich nach Grabenkämpfen in die innere Emigration zurückgezogen haben und nicht mehr zu Delegiertenwahlen erscheinen, kann eine Hand voll Jusos wichtige Positionen im Handstreich erobern«, beschrieb die taz Nord den Zustand der lädierten Partei.

Die Krisendiplomatie der vergangenen Tage blieb erfolglos. SPD-Landeschef Egloff versuchte, Ilkahinpour zum Verzicht zu bewegen, der Eimsbütteler Kreisvorstand sprach sich für Annen aus, auch der Bundesvorsitzende Franz Müntefering stellte sich auf die Seite des Mandatsträgers. Als Ilkahinpour jedoch an seiner formal korrekten Kandidatur festhielt, erklärte Teichmüller seinen Austritt. »Wenn man auf diesem Weg Kandidat in meinem Wahlkreis werden kann, braucht die SPD offensichtlich ihre Mitglieder nicht«, wetterte Teichmüller.

»Es kann nicht sein, dass jemand eine demokratische Partei verlässt, weil ihm das Ergebnis einer demokratischen Wahl nicht passt«, konterte der umstrittene Juso-Chef. Eimsbüttels Kreisvorsitzender Jan Pörksen wertete den Austritt des SPD-Veteranen als »schweren Schlag«, wollte sich vor einem Gespräch mit dem verlorenen Genossen aber nicht weitergehend äußern. Teichmüller selbst war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

»Lebendige Auseinandersetzung liegt uns am Herzen«, heißt es auf der Website der SPD Eimsbüttel. Der aktuelle Streit um Wahlverfahren und Bewerbungsfristen überdeckt nur die tiefe Krise, in der sich die Hamburger Sozialdemokraten auch sieben Jahre nach ihrem Machtverlust an Bürgermeister Ole von Beust (CDU) noch befinden. Bei den Bürgerschaftswahlen im Februar musste der Verleger Michael Naumann auf Intervention aus Berlin als externer Spitzenkandidat einspringen, weil die Landespartei sich im Streit um die Kandidatenkür beinahe selbst zerlegte.

Polit-Talente haben Hamburg verlassen

Die wenigen sozialdemokratischen Polit-Talente an Alster und Elbe haben längst die Konsequenzen aus der fortgesetzten Malaise gezogen und sind an die Spree gezogen: zum einen Annen, der seit 2005 im Bundestag sitzt und hinter Andrea Nahles als Hoffnungsträger der Linken gilt. Zum anderen der 45-jährige Johannes Kahrs, ebenfalls seit 2005 im Bundestag, der sich im rechten Seeheimer Kreis profiliert hat. Kahrs, als begnadeter Strippenzieher gefürchtet, gilt als Vertrauter von Annens Gegenkandidat Ilkahinpour. Dass die Hamburger SPD derzeit kaum als Sprungbrett für politische Karrieren taugt, heißt nicht, dass im Innenstadtbezirk Eimsbüttel nicht Stellvertretergefechte ausgetragen werden können.

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