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Die Rehabilitierung blieb aus

Halbherzig erinnert sich die Schweiz an Hitler-Attentäter Maurice Bavaud

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Schweiz wird in diesen Tagen durch eine Erklärung des Bundespräsidenten Pascal Couchepin mit einem peinlichen Kapitel ihrer mitunter zweideutigen Beziehungen zu Nazi-Deutschland konfrontiert. »Aus heutiger Sicht« hätten sich die Schweizer Behörden vor 70 Jahren zu wenig für den enthaupteten Hitler-Attentäter Maurice Bavaud eingesetzt. Einer seit langem geforderten offiziellen Rehabilitierung des Opfers der faschistischen Blutjustiz verweigerte sich der Bundesrat allerdings erneut.

Das »Comitee Maurice Bavaud«, Nationalrat Paul Rechsteiner und der Bruder, Adrian Bavaud, fordern seit Jahren einen solchen Schritt der Schweizer Regierung. Vor allem, weil die Verstrickung Schweizer Behörden in die damaligen Vorgänge immer noch nicht eindeutig benannt wird. »Zu wenig eingesetzt« ist angesichts der tragischen Geschichte des 1916 in Neuchâtel geborenen und am 14. Mai 1941 in Berlin-Plötzensee hingerichteten streng gläubiger Katholiken Maurice Bavaud eine Beschönigung. In der Tat hatte die Schweizer Gesandtschaft in Berlin den Attentatsversuch ihres Landsmannes nachdrücklich verurteilt. Schweizer Behörden hatten die Gestapo-Ermittlungen durch eigene Untersuchungen noch ergänzt.

Bavaud war im Oktober 1938 mit dem festen Vorsatz, Hitler zu töten, nach Deutschland gekommen. Als die Machthaber am 9. November 1938 den 15. Jahrestag ihres »Marsches auf die Feldherrnhalle« feierten, war es ihm es gelungen, in den frühen Morgenstunden einen Platz auf der Ehrentribüne zu bekommen. Bei sich führte er eine Damenpistole, mit der er Hitler »als Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und den Katholizismus in Deutschland« töten wollte. Weil er zu weit von Hitler entfernt war und umstehende Personen die Sicht versperrten, gab er für diesen Tag sein Vorhaben auf. Tage danach versuchte er vergeblich ins »Braune Haus« einzudringen. Entmutigt wollte er nun Deutschland verlassen und mit dem Zug schwarz nach Paris reisen. Bei einer Kontrolle wurde er festgenommen und nach dem Fund der Pistole an die Gestapo übergeben. Hier gestand er unter Folter seine Attentatspläne.

Am 18. Dezember 1939 verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Die Schweizer Gesandtschaft in Berlin, über Verhaftung und Verurteilung wohl informiert, lehnte jede Unterstützung für Bavaud ab, weigerte sich auch, ihn im Gefängnis zu besuchen. Gesandter Hans Frölicher machte sich gar die Begründung des Volksgerichtshofes für das Todesurteil zu eigen: »Auch muß die Gesandtschaft mit Rücksicht auf die verabscheuungswürdigen Absichten des Verurteilten begreiflicherweise eine gewisse Zurückhaltung bei der Begründung ihrer Begehren auferlegen.« Synchron damit liefen auf Gestapo-Ersuchen in der Schweiz Ermittlungen der Militärbehörden gegen Bavaud, die im April 1940 mit »vorzüglicher Hochachtung« an Gestapo-Chef Heinrich Müller übergeben wurden. Gleichzeitig war entschieden worden, den Verurteilten nicht gegen in der Schweiz inhaftierte deutsche Militärangehörige auszutauschen.

Angesichts dieser Sachlage ist die Empörung des Bruders des von seinem Land so schmählich in Stich gelassenen Opfers des Faschismus, des heute 80-jährigen Arien Bavaud, über die halbherzige Erklärung des Bundespräsidenten verständlich. »Das ist doch keine Rehabilitierung. Kein Wort davon, dass die Bundespolizei gravierende Fehler gemacht und meinen Bruder gar als religiösen Spinner bezeichnet hat. Kein Wort davon, dass man nichts unternommen hat, sein Leben zu retten. Das Unrecht geht weiter.« Bavaud fordert ein Denkmal für seinen Bruder. Das gibt es bis heute nicht einmal im Geburtsort Neuchátel.

Wie die Schweiz hatte auch die Nachkriegsjustiz der Alt-BRD ihre Probleme mit dem »Fall Bavaud«. Am 12. Dezember 1955 endete vor dem Landgericht Berlin-Moabit das vom Vater angestrengte Revisionsverfahren mit einem skandalösen Urteil: Maurice Bavaud wurde posthum wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Verlust bürgerlicher Ehrenrechte verurteilt. Ein später Triumph der faschistischen Justiz, bei deren Diktion die Berliner Richter eine Anleihe aufgenommen hatten: »Das Leben Hitlers ist ... in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen, wie das Leben eines jeden anderen Menschen ... Bavaud hat sich jenseits aller politischen Wertung, die nicht Aufgabe der Strafkammer ist, des versuchten Mordes schuldig gemacht, eines Verbrechens also, das ohne Rücksicht auf das Angriffsobjekt auch in jeder anderen rechtsstaatlichen Staatsform (!) unter Strafe steht.« So sei »kriminelles Unrecht« seine Absicht gewesen. Erschwerend betrachtet wurde »die zum Ausdruck gekommene, selten hartnäckige Handlungsweise Bavauds«.

1956 hob das Berliner Kammergericht das Skandalurteil auf und sprach den Hinterbliebenen 40 000 Schweizer Franken Entschädigung zu. Zu den Mitwirkenden am Todesurteil gegen Bavaud und deutsche sowie französische Widerstandskämpfer hatte Oberregierungsrat Dr. Eberhardt Taubert, NS-Experte für »kirchliche Angelegenheiten und Bolschewismus« im Propagandaministerium, gehört. Nach 1945 wirkte er als Experte für psychologische Kriegsführung im gleichen Geiste in dem vom »Gesamtdeutschen Ministerium« finanzierten »Volksbund für Frieden und Freiheit«.

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