Im Lande des Spottes

Bilder des Belgiers James Ensor erstmals in Wuppertal ausgestellt

  • Stefanie Stadel
  • Lesedauer: 4 Min.
The Skeleton Painter, 1886 Abb.: Von-der-Heydt-Museum
The Skeleton Painter, 1886 Abb.: Von-der-Heydt-Museum

Ein komischer Kerl. Wie er da sitzt, hoch oben auf dem Schornstein. Mit baumelnden Beinen und einer kleinen Flöte zwischen den Lippen bringt James Ensor sich in Pose. Allein über den Dächern von Ostende – so wollte der Maler gesehen werden. Das schräge Foto von 1885 gibt im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum jetzt einen schönen Vorgeschmack auf Ensors großen Auftritt im Kreise von Weggefährten und Nachfolgern. Denn die kuriose Kamin-Inszenierung passt perfekt zur Kunst des Belgiers, die fernab marktgängiger Strömungen eine eigene Welt kreierte. Und sie scheint auch bezeichnend für Ensors Persönlichkeit: Immer wieder zelebrierte der Meister sich als großer Einzelgänger, als verkanntes Genie, das vom Dachatelier des Elternhauses aus das ignorante Publikum verspottet.

Ganz so abgeschottet und unverstanden, wie der Meister es gern darstellt, verlief sein langes Leben in Ostende (1860 bis 1949) allerdings nicht. Durch Ausstellungen, kleine Reisen, lange Briefe und etliche Besucher, die er im Seebad empfing, hielt Ensor ständig Kontakt zur Kunstwelt. So kam es, dass er mit seiner hellen, heftigen Palette, mit seinen fantastischen Szenarien, mit den grellen, gruseligen Maskeraden und den malerischen Mehrdeutigkeiten noch zu Lebzeiten für eine ganze Reihe von Kollegen zum Anreger, zum Impulsgeber wurde. Expressionisten wie Surrealisten konnten sich einiges abschauen beim belgischen Eigenbrötler. Und auch unter den Kreativen späterer Generationen fand seine Kunst jede Menge glühender Bewunderer. Nicht umsonst wird Ensor neben Stars wie van Gogh und Gauguin als Wegbereiter der Moderne gehandelt.

Mit Blick auf diese gewichtige Rolle könnte es einen verwundern, dass der Einfluss des Malers bisher noch nicht zum Ausstellungsthema gemacht worden ist. Immer stand Ensor isoliert da – zuletzt 2005 bei der Retrospektive in der Frankfurter Schirn. Und ebenso sechs Jahre zuvor, als Brüssel ihm eine große Werkschau widmete. Wuppertal will nun erstmals seine Wirkung veranschaulichen und damit die »Forschungslücke« schließen – wenigstens »ansatzweise«, so vorsichtig formuliert Museumsdirektor Gerhard Finckh das Ziel.

Seine Schau im Von-der-Heydt-Museum reißt ihr Riesenthema in meist gelungenen Gegenüberstellungen an. Dreh- und Angelpunkt bleibt Ensor. Mit seinen poetischen Landschaften, den bürgerlichen Salons, wo provinzielle Enge und lähmende Langeweile zu Hause sind. Mit seinen Stillleben, die Früchte und Blumen, Fische und Fächer in fremden Farben aufleuchten lassen. Mit den Masken und Menschenmassen. Mit den malerischen Spielereien um Tod, Teufel und den gepeinigten Heiland.

Dem Sonderling zur Seite treten in Wuppertal Weggefährten, Zeitgenossen, Nachfolger. Edward Munch etwa und die deutschen Expressionisten, auch neusachliche Maler, darunter Otto Dix oder George Grosz.

Im weit gezogenen Kreis finden sich auch Künstler, die Ensors Vorbild recht direkt widerspiegeln. Emil Nolde zum Beispiel, der sich nach einem Besuch in Ostende das Motiv der Maske zueigen macht. Daneben werden aber auch einige hervorgeholt, deren Themen und Methoden nur mittelbar Parallelen zu Ensor aufweisen, wie Francis Bacon mit seiner entstellten »Studie für ein Selbstbildnis«.

Der vermeintliche Einzelgänger Ensor wird in Wuppertal als Mitglied der belgischen Künstlervereinigung »Les Vingt« präsentiert, die zu ihren Ausstellungen regelmäßig avantgardistische Gäste aus dem Ausland einlud. Hier lernte Ensor wichtige Zeitgenossen wie George Seurat kennen. Hier machte er aber auch erste Außenseiter-Erfahrungen. Ablehnung schlug ihm entgegen – von Seiten des bürgerlichen Publikums, aber auch aus eigenen Reihen.

Beklemmung kommt auf, wenn Ensor seine maskierten Massen aufmarschieren lässt und damit vieles von dem vorwegnimmt, was Künstler wie Otto Dix oder Ludwig Meidner angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs zu Papier bringen werden.

Am Ende des Parcours mag man Meidner vielleicht besser verstehen. Wenn er von seinem Erlebnis einer großen Ensor-Ausstellung in der Londoner National Gallery schwärmt. In »lodernde Begeisterung« fühlte der Expressionist sich da versetzt. Für ihn war Ensor »ein leidenschaftlicher Maler ohnegleichen – mit den feinsten Nerven, die nur ein Künstler haben kann«.

Von-der-Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8, bis 8. Februar 2009. Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag 11-20 Uhr. www.ensor-ausstellung.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal