Knirschende Koalitionsverhandlungen

Österreich noch ohne neue Regierung / Während die ÖVP droht, unterwirft sich die SPÖ

  • Hannes Hofbauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die österreichischen Nationalratswahlen vom 28. September hat die liberal-konservative ÖVP verloren. Bei den Koalitionsverhandlungen seither mimt ihr designierter Parteichef Josef Pröll die führende Kraft. Die SPÖ indes tut so, als ob sie das nicht bemerken würde.

Vergangenen Sonntag hat ÖVP-Chef Pröll mit einem medialen Paukenschlag die Verhandlungen über eine Regierungsbildung ausgesetzt. Zehn Fragen wollte er von seinem Gegenüber, dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Werner Faymann, beantwortet wissen, bevor es mit substanziellen Gesprächen weiterginge. Die binnen Stunden erfolgten Antworten bringen erneut die ÖVP in Zugzwang. Das politisch interessierte Publikum fühlt sich verschaukelt.

Auslöser für die letzte von vielen Vertrauenskrisen der seit 2006 aneinander geketteten Koalition bildete eine Verordnung von Faymann, der zurzeit nebenberuflich noch als Verkehrsminister tätig ist, die von der Generaldirektion der Österreichischen Post AG angekündigten Postamtsschließungen zu stoppen. Die Empörung in der ÖVP darüber hat zwei Gründe: Einerseits fühlt man sich als Unternehmerpartei den Aktionären der bereits teilprivatisierten Post sowie den mit ihr in Konkurrenz stehenden privaten Postdiensten verpflichtet. Zum anderen mögen es Pröll und seinesgleichen ganz und gar nicht, wenn der SPÖ-Chef (vorgebliche) Eingriffe ins Marktgeschehen medial gut verkauft.

»Populismus« nennt man dies dann und hofft, dass niemand nach den Wurzeln dieses zum politischen Schimpfwort gewordenen Begriffes fragt. Die zehn Fragen selbst waren oberlehrerhaft gestellt, jedoch wegen ihrer allgemeinen Formulierung einfach zu beantworten. Abgefragt wurden Bekenntnisse zum budgetären Sparzwang (freilich mit Ausnahme der für marode Banken, Versicherungen und demnächst Industriebetriebe zur Verfügung gestellten Riesensummen), zur Bereitschaft für steuerliche Entlastungen auch der Reichen, zu Einschnitten (genannt: Reformen) beim Gesundheits- und Rentenwesen sowie ein euphorisches Ja zur Europäischen Union. Faymann bekannte sich flugs zum Sparziel im Rahmen einer Verwaltungsreform, die demnächst Tausende Staatsangestellte arbeitslos machen dürfte; zur »marktwirtschaftlichen Weiterentwicklung« staatsnaher Betriebe, sprich: der endgültigen Zerschlagung der Post; zur Steuerentlastung auf für jene, die mehr als 4000 Euro im Monat verdienen sowie als glühender EU-Europäer.

Neu an der ganzen innenpolitischen Szenerie war, dass das SPÖ-Unterwerfungsritual diesmal nicht bloß inhaltlich hinter den Kulissen der Verhandlungsorte abgegeben werden musste, sondern öffentlich eingefordert wurde. Diese Peinlichkeit könnte imagemäßig allerdings auch ÖVP-Mann Pröll schaden. Sein starker Auftritt war wohl eher für die eigenen Reihen gedacht. Denn innerhalb der ÖVP rumort es kräftig. Viele Funktionäre in den Bundesländern wollen keine Zusammenarbeit mit der SPÖ und verweisen darauf, dass eine »bürgerliche Koalition« rechnerisch aufginge.

Tatsächlich hätten ÖVP, FPÖ und die ehemalige Haider-Partei BZÖ gemeinsam 106 der 183 Abgeordnetensitze und damit eine solide parlamentarische Mehrheit. Zu einer rechts-rechts-rechtsliberalen Allianz können sich allerdings wichtige Kräfte des Wirtschaftsflügels in der ÖVP (noch?) nicht durchringen. Also bleibt Pröll nicht viel anderes übrig, als das Spiel mit der Demütigung der SPÖ weiterzuführen. Neuwahlen würden, folgt man den letzten Umfrageergebnissen, der ÖVP mehr schaden als der SPÖ. Als Sieger ginge ohnedies erneut Hans Christian Strache mit seiner stramm rechts getrimmten FPÖ aus dem Urnengang hervor.

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