Gut, besser, Klassenprimus Sachsen?

Beim diesjährigen deutschen PISA-Sieger Sachsen ticken die Bildungs-Uhren etwas anders

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Spitzenplatz bei der gestern vorgestellten PISA-Studie ist von Sachsens Regierungspolitikern mit Jubel aufgenommen worden. Die CDU wertete das Abschneiden als Bestätigung für ihre Bildungspolitik. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten.

Beim Regionalschulamt Leipzig der Sächsischen Bildungsagentur war man schon vorher sicher, dass man in den vergangenen Jahren alles richtig gemacht hat. »Wir brauchten PISA nicht, um Reformen auf den Weg zu bringen«, teilt Agentur-Sprecher Roman Schulz euphorisch letzte Woche auf Anfrage mit. Man habe das Abitur nach der 12. Klasse nicht abgeschafft, den naturwissenschaftlichen Unterricht schon in der Grundschule gestärkt, Noten ab der zweiten Klasse wieder eingeführt und sich nie auf das Experiment Dreigliedrigkeit eingelassen. Mit dem System aus Mittelschule und Gymnasium nach der vierten Klasse sei man offenbar gut gefahren, meinte Schulz, der auch auf die Orientierungsarbeiten verweist. In den Fächern Deutsch und Mathematik werden seit einigen Jahren die Schülerinnen und Schüler in den dritten Klassen sowie zusätzlich in Englisch an den Mittelschulen und Gymnasien in den Klassenstufen 6 und 8 jährlich einmal getestet. Die Arbeiten sollen der Qualitätssicherung und -verbesserung des Unterrichts dienen und werden von mehreren Bundesländern gemeinsam entworfen.

Doch Schulpraktiker sehen das differenzierter. »Das Niveau dieser Tests ist zu hoch«, kritisiert etwa Uta Machner vom Humboldt-Gymnasium in Leipzig. »Die Ergebnisse fallen schlechter aus als die Leistungen, die die Schüler während des ganzen Jahres über erbringen«, meint die Schulleiterin. Sie setzt deshalb darauf, dass mit der von der Landesregierung versprochenen Umstellung auf Kompetenztests, die nicht benotet werden müssen, der Druck auf Lehrer wie Schüler ab dem nächsten Schuljahr weniger wird.

Auch die sächsische GEW-Vorsitzende Sabine Gerold teilt nur bedingt die Zufriedenheit der offiziellen Politik mit dem guten Abschneiden Sachsens beim innerdeutschen PISA-Test (PISA-E). In Sachsen seien die sozialen Unterschiede noch nicht so hoch wie in vielen westdeutschen Ländern. Auch hierdurch würden die Ergebnisse insgesamt besser ausfallen als etwa in einem Stadtstaat wie Bremen, wo gerade die Bildungbenachteiligung von sozial ausgegrenzten Migranten sich negativ auf die PISA-Resultate auswirkte. Positiv bewertet sie den Ausbau des Ganztagsangebots.

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass in Sachsen Migranten in der Tat weniger Probleme mit dem Schulsystem haben und umgekehrt dieses weniger Schwierigkeiten mit den Einwandererkindern. So gehen 42 Prozent der jungen Vietnamesen, die ein Viertel der knapp 2,7 Prozent Migranten-Schüler im Land stellen, aufs Gymnasium. Am Leipziger Humboldt-Gymnasium sind es vor allem Schüler aus den GUS-Staaten, die durch gute Leistungen glänzen. Sprachprobleme gibt es nach Auskunft von Uta Machner bei diesen Kindern und Jugendlichen nicht.

Auch der erste Sächsischen Bildungsbericht, den Schulminister Roland Wöller (CDU) Anfang Oktober vorlegte, bestätigt die PISA-Befunde. Die Übertrittsquote auf die Gymnasien nach der vierten Klasse ist im letzten Schuljahr landesweit auf 50,5 Prozent gestiegen, die Unterschiede zwischen den Landkreisen sind dabei gering. Sachsen nimmt damit eine Spitzenposition unter allen 16 Bundesländern ein. Die Befürchtungen, Gymnasiallehrer in Sachsen würden versuchen, leistungsschwächere Kinder auf die Mittelschulen zurückzuweisen, haben sich nicht bestätigt. Sachsenweit liegt die entsprechende Quote jährlich bei rund zwei Prozent. Sabine Gerold sieht den Grund dafür auch in der Ausbildung der Lehrer, die ihr Handwerk in der Regel noch in der DDR gelernt und daher »einen Blick für die Notwendigkeit individueller Förderung« hätten.

Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Cornelia Falken, gibt jedoch zu bedenken, dass es natürlich auch in den Mittelschulen eine Aufspaltung der Schülerschaft in Hauptschul- und Realschulklassen gebe. Und eine Durchlässigkeit des zweigliedrigen Schulsystems existiere nur in der Theorie. Wöllers Bildungsbericht bestätigt dies: Nach dem Ansturm auf die Gymnasien nach der vierten Klasse mauert man auch in Sachsen: Zwischen der fünften und der zehnten Klasse liegt die Übertrittsquote von den Mittelschulen auf die Gymnasien bei 0,5 Prozent im Jahr. Sachsens GEW-Chefin Gerold warnt zudem davor, das gute PISA-Ergebnis überzubewerten. Mit seinem zweigliedrigen System schöpfe der Freistaat lediglich das Leistungspotenzial eines gegliederten Schulsystems optimal aus. »Wer bessere Bildung will, muss auch die Schulstruktur in Richtung einer Schule für alle verändern.« Und vielleicht, gibt sie zu bedenken, sei das Geheimnis des relativen sächsischen PISA-Erfolgs viel profaner. »Wir hatten in Sachsen nach der Wende durch stabile politische Mehrheiten eine gewisse Kontinuität in der Bildungspolitik, und das ist für Eltern und für die Arbeit von Lehrern immer hilfreich.«


PISA-Rangliste

Bereich Naturwissenschaften (in Klammern: Ergebnisse von 2003):
Sachsen: 541 Punkte (522)
Bayern: 533 (530)
Thüringen: 530 (508)
Baden-Württemberg: 523 (513)
Sachsen-Anhalt: 518 (503)
Rheinland-Pfalz: 516 (497)
Mecklenburg-Vorpommern: 515 (491)
Brandenburg: 514 (486)
Saarland: 512 (504)
Schleswig-Holstein: 510 (497)
Berlin: 508 (493)
Hessen: 507 (489)
Niedersachsen: 506 (498)
Nordrhein-Westfalen: 503 (489)
Hamburg: 497 (487)
Bremen: 485 (477)

Quelle: dpa

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