Berliner sind arm, aber zufrieden

Neue Studie zeichnet positives Stimmungsbild / Ost-West-Gegensatz verblasst

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Lage ist mies, aber die Stimmung prima – so lässt sich das Ergebnis einer Studie zusammenfassen, die gestern die Hertie-Stiftung präsentierte. Zumindest ist die Stimmung in Berlin besser, als es die Forscher bei der Befragung von 2000 Bewohnern einer Stadt, in der 20 Prozent der Menschen von Hartz IV leben und nur 42 Prozent erwerbstätig sind, erwartet hätten. »Wir dachten, wir kriegen eine deprimierende Grundstimmung«, so der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann.

Die Überraschung: »Obwohl sie die Probleme sehen, gibt es ein hohes Niveau von Wohlgefühl«, sagte Hurrelmann. Demnach sehen 83 Prozent der Befragten in der hohen Arbeitslosigkeit ein Riesenproblem, 77 Prozent befürchten steigende Preise, 69 Prozent zunehmende Armut. Trotzdem leben 89 Prozent der Berliner gern hier, 70 Prozent empfehlen ihre Stadt anderen sogar als Wohnsitz weiter. Dieses hohe Maß der Identifizierung erklärt Hurrelmann damit, dass Berlin relativ homogene Lebenswelten für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen anbiete. »Sie leben in ihren Kiezen, gleichzeitig fühlen sie sich unter dem Dach Berlins vereinigt.«

Laut Studie ist Berlin aber nicht Hauptstadt der Migranten, nur 23 Prozent der Einwohner haben ihre Wurzeln im Ausland, in Mitte (44 Prozent), Neukölln (38,5 Prozent) und Friedrichshain-Keuzberg (36,5 Prozent) ist ihr Anteil am höchsten. Im Umgang miteinander geben sich die Bevölkerungsgruppen gute Noten, 61 Prozent der Deutschen und 77 Prozent der Migranten bewerten ihre Kontakte als positiv. Den Unterschied in Herkunft und Lebensstil würden die Berliner mehrheitlich als Gewinn sehen. Für den Politologen Michael Zürn fällt es ihnen dadurch leichter, »die enormen sozialen Differenzierungen auszuhalten«.

Die verschiedenen Milieus werden nicht als »Parallelgesellschaften«, sondern als »durchlässige Lebenswelten« angesehen. Klagen über »zu viele Ausländer« stehen ganz am Ende der Berliner Problemskala. In der mosaikartigen Struktur der Stadt sieht Zürn den Grund dafür, dass sich die Migranten trotz aller materiellen Probleme hier wohlfühlen.

Auch der Ost-West-Gegensatz hat sich den Forschern nicht mehr offenbart. Zwar gebe es noch eine »Mauer in den Köpfen« – 45 Prozent der Menschen sagen, man habe nichts gegeneinander, aber auch nicht viel miteinander zu tun. In den Werten, der Einschätzung von Problemen seien die Unterschiede zwischen Frauen und Männern oft größer als die zwischen Ost- und Westberlinern. Größere Unterschiede hat die Studie etwa zwischen der kreativen Berliner »neuen Mitte«, wo 65 Pozent der Menschen »sehr gern« wohnen, und Berlin Nord-West mit Spandau und Reinickendorf, wo es nur 40 Prozent sind, ausgemacht.

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