Lateinamerika zwischen Traum und Albtraum

Kaum große Erwartungen an Barack Obama

  • Harald Neuber
  • Lesedauer: 4 Min.
In Lateinamerika wird der Wahlsieg Barack Obamas als Fortschritt gesehen. Große Erwartung an eine neue USA-Politik gibt es südlich des Rio Grande aber nicht.

Es gibt einige wenige Fragen, die Lateinamerikas Verhältnis zu den USA bestimmen. Die Haltung Washingtons zu den Immigranten aus dem Süden des Kontinents etwa. Oder der Umgang mit der völkerrechtswidrigen Blockade Kubas. Liest man vor diesem Hintergrund die Stellungnahmen des designierten 44. Präsidenten der USA, erscheint ein grundsätzlicher Wandel der Beziehungen unwahrscheinlich. Zwar kritisierte Barack Hussein Obama schon im März vergangenen Jahres das »Unvermögen« einiger verbündeter Regierungen in Lateinamerika, »Konditionen zu schaffen, unter denen hunderte Millionen Menschen aus der Armut ausbrechen können«. Dass diese Kritik aber keine Annäherung an die Staatsführungen bedeutet, die einen solchen Weg beschreiten, machte er unmittelbar darauf deutlich. Die USA müssten mit Brasilien auf einen Ausbau der Agrartreibstoffe setzen, »um den auf Erdöl basierenden Einfluss des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu reduzieren«.

Auch während seiner Wahlkampagne bediente der 47-jährige Politiker der Demokratischen Partei alte Ressentiments. Bei einem Auftritt vor rechtsextremen Hardlinern des kubanischen Exils in Miami versprach auch er Mitte Mai den Sturz der sozialistischen Regierung in Havanna. Er werde den Kontakt »zu Freund und Feind« suchen, »um die Freiheit für das kubanische Volk voranzubringen«. Und für diese Freiheit gebe es »keine besseren Botschafter als die Kubano-Amerikaner«, so Obama vor Vertretern der »Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung«, die für mehrere Terroranschläge in dem Inselstaat verantwortlich ist. Fidel Castro antwortete umgehend. Zweifelsohne sei Obama »vom sozialen und menschlichen Standpunkt aus betrachtet der fortschrittlichste Kandidat«. Auch er könne aber nicht die Schemata einer imperialen Politik durchbrechen.

Nüchtern äußerte sich nach dem Wahlsieg nun auch die argentinische Philosophin Isabel Rauber. Selbst wenn Obama seiner Herkunft wegen Erinnerungen an Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Malcolm X oder Angela Davis wecke, habe er – anders als diese – nie einen Wandel des Systems versprochen. »Obama ist als Kandidat aller US-Amerikaner angetreten, nicht aber als Afroamerikaner«, so Rauber. An die Macht verholfen hätte ihm die geschickte Mobilisierung junger US-Amerikaner, ethischer Minderheiten und der von der Finanzkrise bedrohten Mittelschicht. Rauber, die am Zentrum für Amerikastudien in Havanna arbeitet, verweist auf den US-Linguisten und politischen Autor Noam Chomsky. Er sehe in Obama einen »Weißen, der einfach nur viel Sonne abbekommen hat«. Trotzdem: Linksgerichtete Präsidenten wie Hugo Chávez oder Evo Morales gratulierten dem designierten USA-Staatschef, lateinamerikanische Intellektuelle erkannten die Bedeutung seines Sieges an.

Die US-venezolanische Buchautorin Eva Golinger etwa wies darauf hin, dass die Schwarzen in den USA erst 1870 das Wahlrecht bekommen haben – »fast 100 Jahre, nachdem 55 weiße Großgrundbesitzer die erste Verfassung unterzeichnet haben«. Obamas Sieg sei deswegen zu befürworten. Doch handele es sich bei ihm auch um einen Multimillionär, »der Millionen mit Büchern über sich selbst verdient hat«. Kritische Themen wie Rassismus habe Obama stets vermieden. Auch Golinger sieht in ihm deswegen »das perfekte Gesicht des Imperiums«. Sie fragt rhetorisch: »Wird es für die Al Qaida und andere USA-Gegner nun nicht schwerer, einen Farbigen mit arabischen Namen anzugreifen?«

Trotz solcher Einwände sieht der uruguayische linke Journalist Raúl Zibechi die historische Dimension des Sieges Obamas, weil er zugleich ein Triumph der sozialen Bewegungen sei. Zibechi verweist auf den »Freedom Summer« 1964, als sich tausende Bürgerrechtsaktivisten im rassistisch verseuchten Süden der USA dafür eingesetzt hatten, dass Schwarze in die Wählerverzeichnisse eingetragen werden. Die Kampagne sei ein politisch-kultureller Durchbruch gewesen. Mit Obamas Sieg habe sich die Bürgerrechtsbewegung trotz aller Rückschläge und der »kulturellen und sozialen Konterrevolution unter Ronald Reagan und den Bush-Regierungen« wieder durchgesetzt. Das nähre die Hoffnung auf einen vorsichtigen Wandel. Der Autor Eduardo Galeano aus Uruguay veröffentlichte nach Obamas Sieg gar einen Essay unter dem Titel »Ich hoffe«. Er fragt: »Wird der erste schwarze Präsident der USA den Traum Martin Luther Kings oder den Albtraum von Condoleezza Rice in die Tat umsetzen?« Das Weiße Haus, in das der 44. Präsident der Vereinigten Staaten einziehen wird, sei von schwarzen Sklaven errichtet worden, fügt Galeano an. »Ich hoffe, dass Obama das nie vergisst.«

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