Auf die Straße statt ins Wahllokal

Datenreport 2008 zeigt ausgeprägte soziale Schichtung und Demokratieunzufriedenheit auf

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Ob Einkommen, Bildung oder Rente – die Deutschen blicken pessimistisch in die Zukunft. Und ihre Ängste sind nicht unbegründet, wie der »Datenreport 2008« beweist, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Das Interesse daran, wie Politik momentan gemacht wird, nimmt gerade bei jüngeren Menschen weiter ab.

Im Jammern seien die Deutschen schon immer gut gewesen, heißt es oft. Besonders den Ostdeutschen wird nachgesagt, dass sie gerne im Selbstmitleid versänken. Doch wie sieht 2008 die soziale Realität aus? Aus Statistiken und Sozialforschungsergebnissen wurde der »Datenreport 2008« zusammengestellt. Beteiligt an der 450 Seiten langen Studie waren Wissenschaftler des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS), des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen (GESIS-ZUMA) und der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Die Ergebnisse des Reports zeigen: Die Deutschen sind unzufrieden. Während sie ihre Wohn- und Familienverhältnisse subjektiv als relativ gut empfinden, sieht es bei den Einkommen schlecht aus. 22 Prozent der Westdeutschen sind mit ihrem Haushaltseinkommen nicht zufrieden (2002: 18 Prozent), bei den Ostdeutschen findet ein Drittel, dass das familiäre Einkommen zu niedrig sei. Und diese Unzufriedenheit hat Gründe: Von 2001 bis 2006 hat sich das durchschnittliche reale Haushaltseinkommen nicht erhöht, bei gleichzeitig allgegenwärtigen Preissteigerungen. Für viele sieht es noch trüber aus – die ärmsten 20 Prozent der Haushalte müssen mit sinkenden Einkommen leben, während die des oberen Fünftels stetig ansteigen. Dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland weiter aufklafft, hat kürzlich auch eine OECD-Studie ergeben.

Belege für die Herausbildung einer neuen Unterschicht fanden die Wissenschaftler zwar nicht, Heinz-Herbert Noll von der GESIS sprach jedoch von einer »ausgeprägten sozialen Schichtung der deutschen Gesellschaft«. Und diese Schichtung finde sich nicht ausschließlich auf einer Oben-Unten-Achse, sie werde vielmehr stark von Ost-West-Differenzen überlagert, so Noll. Deutlich werde das daran, dass sich die Ostdeutschen selbst niedriger einschätzten als ihre westdeutschen Mitbürger, wenn sie sich einer sozialen Schicht zuordnen sollten. So gebe es, subjektiv betrachtet, in Westdeutschland eine größere Mittelschicht, während sich im Osten Arbeiter- und Mittelschicht die Waage hielten. Zur Unterschicht zugehörig sehen sich allerdings nur drei (West) beziehungsweise fünf (Ost) Prozent.

Ebenfalls unzufrieden sind die Deutschen mit der Demokratie: 85 Prozent halten sie zwar prinzipiell für die beste Staatsform, nur 33 Prozent der Ost- und 61 Prozent der Westdeutschen sagen jedoch, dass sie praktisch gut funktioniere. Besonders bei der sozialen Sicherung bescheinigen die Deutschen dem Staat viele Defizite.

Was an den Daten zur Demokratiezufriedenheit deutlich wird, zeigt sich in der Praxis an der seit Jahren schwindenden Wahlbeteiligung. Noch nie gingen so wenige Menschen zu einer Bundestagswahl wie 2005. Besonders Jung- und Erstwähler zwischen 18 und 24 Jahren verweigerten die Kreuzchen. Parteien, Gewerkschaften und Verbände klagen seit Jahren über weniger Mitglieder. Zu einem Problem für die Demokratie muss das aber alles nicht werden: In dem Maße, wie das Vertrauen in Staat und Demokratie schwindet, wächst die Bereitschaft, das Heft wieder selbst in die Hand zu nehmen, sagte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Immer mehr Menschen wenden sich zwar von institutionalisierten Formen der Beteiligung ab, verleihen dafür aber ihrem politischen Willen anders Ausdruck. So stieg der Anteil der Ostdeutschen, die sich an Demonstrationen beteiligen, von 21 (1998) auf rund 34 Prozent im Jahr 2004. Auch in Westdeutschland ist eine Steigerung um 8 auf 26 Prozent zu bemerken. Viele wollen anscheinend doch nicht nur jammern.

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