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Warum nicht Malaysia?

Vermutungen des Pulitzerpreisträgers Lawrence Wright zu 9/11

  • Susanne Härpfer-Nassauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Arabische Bücher werden von hinten gelesen. So sollte man es auch mit dem hier angezeigten tun. Im Kleingedruckten findet sich die Gebrauchsanweisung: »Lügen und Täuschungsversuche stellen immer ein Problem dar für einen Journalisten, der sich um eine wahrheitsgemäße Darstellung bemüht, und bei einem Projekt, das zum größten Teil auf Interviews mit Dschihadisten und Geheimdienstmitarbeitern beruht, darf man wohl zurecht davon ausgehen, dass die Gefahr besteht, solchen Quellen zu großes Vertrauen zu schenken.«

Dieses Buch ist eine Fleißarbeit, die »wahre Geschichte von 9/11« freilich kann es auch nicht bieten. Der Journalist Lawrence Wright sprach mit Hunderten von Beteiligten, Insidern, Augen- und Ohrenzeugen, und suchte die Originalschauplätze auf. Doch jeder Gesprächspartner – vom Hamburger Verfassungsschutzpräsidenten bis Bin Ladens Freund Abu Rida al-Surin – kennt nur einen Teil der Wahrheit, der subjektiv gefärbt und von Interessen geleitet ist.

Ein in diesem Buch anonym bleibender Politiker in Kairo nennt Ibrahim Makkawi als den »eigentlichen Vater des 11. September 2001«. Dieser war Oberst ägyptischer Sondereinsatzkräfte. Zudem bietet Wright Ali Mohammed an, ein ägyptischer Doppelagent, der den Auftrag gehabt haben soll, den amerikanischen Geheimdienst zu unterwandern; kurzzeitig war dieser für die CIA in Hamburg tätig. Makkawi wird als »kooperativer Zeuge in US-Haft« beschrieben, was immer das heißen mag.

Bei einem Vortrag vor der Führungsakademie der Bundeswehr habe ich zunächst Verwirrung, dann ungläubiges Gelächter ausgelöst, als ich provokant die Frage stellte, weshalb in Antwort auf die Terroranschläge des 11. September 2001 statt Afghanistan nicht Malaysia bombardiert wurde? Das Lachen verstummte, als ich meine Vermutung äußerte. In der Tat führt eine Spur nach Malaysia. Wright schildert ausführlich, wie der Chefanalyst des saudischen Geheimdienstes die CIA vor den Terroristen Mihdhar und Hasmi warnte, woraufhin die NSA deren Telefonate überwachen ließ und den malaysischen Dienst um Hilfe bei der Observierung bat. In Kuala Lumpur trafen sie sich mit Jasid Sufaat, der Milzbrandsporen gezüchtet haben soll. Jeder Schritt der Terroristen wurde fotografiert. Dennoch konnten sie ungehindert weiter nach Thailand reisen, wo sie u. a. das Attentat auf die »USS Cole« besprachen und jene verheerenden Anschläge auf New York und Washington.

Die Fotos, die die Terroristen in Malaysia zeigen, hat die CIA nicht an das FBI weitergegeben, im Gegenteil, sie behielten all ihre Informationen für sich. Pulitzerpreisträger Wright kann nicht als Verschwörungstheoretiker abgestempelt werden. Also: Warum arbeitete die CIA den Attentätern in die Hände? War es wirklich nur Dummheit oder Unfähigkeit? Von Seiten des FBI wurden die eklatanten Unterlassungen mit Eifersüchteleien zwischen den Behörden erklärt. Es habe eine schädliche Mauer gegeben, die eine Datenweitergabe verhindert habe. So wird auch zur Zeit und hierzulande argumentiert, um das offizielle Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aufzuheben. Dabei gibt es bereits längst eine intensive Zusammenarbeit. Zum einen durch sogenannte Verbindungsbeamte, wie man im Kleingedruckten des Visa-Untersuchungsausschusses staunend lesen konnte. Zum anderen, weil teilweise dieselben Personen sowohl für das Bundeskriminalamt als auch für den Bundesnachrichtendienst arbeiten, wie man durch einen Vergleich der Bücher »Deckname Dali« und »Die BKA-Story« von Wilhelm Dietl erfährt.

Wie kam es, dass die Bedeutung Bin Ladens als Terrorfürst nicht erkannt wurde? Oder sind die Makkawis, die Mihdhar und Hasmis, die nur Insidern geläufig waren, die wirklichen Drahtzieher, und Bin Laden nur die Symbolfigur, die Pop-Ikone des Terrors gewissermaßen? Immerhin schreibt Wright, im Sudan sei das Gerücht entstanden, Bin Laden sei der neue »Carlos«. Der Gegenspieler Bin Ladens soll John O'Neill vom FBI gewesen sein, der Mann, der die Bedeutung Al Qaidas als erster erkannt haben will. Wright berichtet über dessen unermüdlichen Kampf, Informationen über Bin Laden zusammenzutragen. Gleichzeitig beschreibt er ihn als schwer überschuldet, Bigamist, ein Weiberheld, ein Lügner und somit eigentlich ein Sicherheitsrisiko; immer wieder soll er Notebooks irgendwo vergessen, hochgeheime Unterlagen liegengelassen haben. Aber – gemäß seiner Warnung am Schluss des Buches – hält der Autor es auch für möglich, dass diese Darstellung O'Neills bewusst von Kollegen gestreut worden sei. Es bleibt die Frage: Wieso soll O'Neill unweit des World Trade Centers gestorben sein, obwohl man ihn unmittelbar nach den Anschlägen unverletzt und in Sicherheit gesehen habe? Handelte es sich hier um einen Anschlag auf jemanden, der zuviel wusste? Oder war es Selbstmord?

Wrights Buch beginnt chronologisch mit des Schilderung der Moslembruderschaften, der Sufis. Es informiert über den Mythos der Freiheitsbewegung, des Widerstands, dem manche Attentäter verfallen. Der Tod ist eine Kunst, sagen sie. In Vietnam pflegten die amerikanischen Soldaten zu sagen: »Death is a lady.« Der Titel von Wrights Buchs beruht auf einer Passage aus der vierten Sure des Korans, die Bin Laden mehrfach von sich gegeben habe: »Wo ihr auch sein möget, der Tod wird euch finden, und wäret ihr im hohen Turm.«

Lawrence Wright: Der Tod wird euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11. September. Deutsche Verlags-Anstalt. 544 S., geb. 24,95 EUR, br. 9,95 EUR.

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