»Spitzel-Affäre« in Hessens Linkspartei?

Ein ehemaliges Mitglied behauptet, die Kasseler LINKE überwache unbequeme Genossen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Als die Baunataler Kreistagsabgeordnete der LINKEN, Christa Pfeil, vor ein paar Tagen ihren Parteiaustritt verkündete, da schlugen die Wellen der Empörung hoch. Denn die gelernte Bürokauffrau warf ihren hessischen Ex-Genossen »Stasi-Machenschaften« vor. Angeblich sei sogar »ein Dossier mit Bewegungsprotokoll« eines missliebigen Parteimitgliedes erstellt worden.

Der Wahlkampf steht in Hessen vor der Tür. Folgerichtig war es Hessens CDU-Generalsekretär Christian Boddenberg, der als einer der ersten auf die Affäre reagierte. Die Vorgänge würden seinen Verdacht erhärten, so der Christdemokrat, dass es sich bei der LINKEN um die alte SED mit neuem Namen handele.

Auch wenn der LINKE-Kreisverband Kassel-Land, dem Christa Pfeil angehörte, betont, dass sich seine Mitglieder vornehmlich aus ehemaligen SPD-Genossen und Gewerkschaftern rekrutieren – die Anschuldigen stehen im Raum. Doch was hat es nun mit den »Stasi-Methoden« des Kreisverbandes auf sich? Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die angebliche Bespitzelungsaffäre als Provinzposse, in der Freizeit-Rocker, Bier und unglücklich formulierte E-Mails eine nicht unerhebliche Rolle spielten.

Doch der Reihe nach: Das Parteimitglied Hannes Schmitto aus Baunatal betreut seit längerem die Hartz IV-Arbeitsgemeinschaft des Landkreises und ist ständig auf der Suche nach Mitstreitern. So kann es durchaus passieren, dass der Genosse auch am Wochenende vor der Tür eingetragener Parteimitglieder steht – unangemeldet und »ohne Auftrag der Partei«, wie Kreisverbands-Sprecher Ulrich Memmel betont. Nun sorgte sein forsches Auftreten bei einigen Genossen für Verstimmung. So meldete sich ein Mitglied per E-Mail beim Parteivorstand und berichtete, ein Mann hätte ihn in »Rockermanier« unangemeldet aufgesucht und behauptet, »dass er von der Linkspartei wäre«. Nachdem der schwerbehinderte Genosse den vermeintlichen Rocker des Hauses verwiesen hatte, brauste der Unbekannte auf einem dreirädrigen Motorrad davon.

Verwundert nahm man dies in der Kasseler Zentrale zur Kenntnis. Denn bislang wusste man nichts von Rockern in den eigenen Reihen und vor allem: Woher wusste der Mann in Lederkluft von der Parteimitgliedschaft des Behinderten? Einige Tage später besuchte ein Vorstandsmitglied den Partei-Stammtisch im Städtchen Kaufungen und kam dort mit Hannes Schmitto ins Gespräch. Der Hartz IV-Aktivist outete sich dabei als der gesuchte Rocker.

Noch etwas überrascht ob dieser Wendung, machte sich das Vorstandsmitglied ein paar Gesprächsnotizen, die später in einer E-Mail wieder auftauchen sollten. Unter anderem hieß es dort, Schmitto sei der Rocker mit dem Motorrad, obwohl man den etwas fülligen Mittfünfziger bislang nur in einem »alten, sehr gut gepflegten Mercedes« gesehen habe. Dieses Zitat fand sich dann auch in entsprechenden Medienberichten wieder und musste als eindeutiger Beweis für die »Überwachung« Schmittos herhalten.

»Natürlich war es nicht in Ordnung, diese Dinge per E-Mail weiterzuverbreiten«, räumt auch Kreisverbands-Sprecher Memmel ein. »Doch von einer Bespitzelung kann keine Rede sein.« Auch sei diese Affäre nicht der eigentliche Grund für den plötzlichen Parteiaustritt Christa Pfeils gewesen. Vielmehr schwele seit längerem ein Streit zwischen dem Kreisverband Kassel-Land und seinem Ortsverband Baunatal, dem auch Schmitto und Pfeil angehörten.

Ulrich Memmel spricht von »drei Personen« in Baunatal, die ihre »persönlichen Animositäten« gegen andere Parteimitglieder verbinde. So sei der Ausschluss des dortigen Vorsitzenden, Bernd Heinicke, bereits beschlossene Sache. Christa Pfeil sei durch ihren Abgang einem möglichen Ausschlussverfahren zuvorgekommen. Memmel betont, dass es Hannes Schmitto war, der gegen den Datenschutz verstoßen habe. Denn die Hausbesuche nahm der vermeintliche Rocker anhand einer Mitgliederliste vor, die im Wahlkampf angelegt worden sei und die er danach hätte vernichten müssen. Doch Genosse Schmitto behielt die Liste und nutzte sie heimlich weiter.

Die LINKE in Nordhessen trifft der Austritt Pfeils jedenfalls doppelt hart. Nicht nur, dass der Partei nun der »Spitzel«-Ruf anhängt, auch der Fraktionsstatus im Kreistag ist verloren gegangen. Denn Christa Pfeil gab lediglich ihr Parteibuch zurück, den Sitz im Lokalparlament will sie behalten.

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