Somalias Piraten knackten den Jackpot

Piraterie läuft wie geölt – rund ums »Kerngeschäft« entsteht ein Dienstleistungssektor

  • Marc Engelhardt, Nairobi
  • Lesedauer: 4 Min.
In diesem Jahr wurden im Golf von Aden und vor der Ostküste Somalias nach Angaben des International Maritime Bureaus (IMB) 95 Schiffe von Piraten angegriffen. Die Kaperung des saudischen Öl-Tankers »Sirius Star« ist der bisherige Höhepunkt.

Der Überfall kam vollkommen unerwartet: Die »Sirius Star«, einer der größten und modernsten Tanker der Welt, war noch mehr als 1000 Kilometer von Somalias berüchtigter Küste entfernt, als die Piraten am Sonnabend zuschlugen. Dabei dürfte der Kapitän der Fahrt in die laut UNO »gefährlichsten Gewässer der Welt« mit Gelassenheit entgegen gesehen haben: Der 330 Meter lange Riesentanker lag zwar mit voller Ladung tief im Wasser, doch die Reling befand sich immer noch so weit über dem Meeresspiegel wie ein mittleres Hochhaus. Noch nie wurde ein so großes Schiff Opfer von Piraten.

Die Bande, die die »Sirius Star« dennoch erfolgreich kaperte, machte den Fang ihres Lebens. An Bord befinden sich zwei Millionen Barrel saudischen Öls; geschätzter Wert: mehr als 70 Millionen Euro. »Die haben den Jackpot geknackt«, sagt Andrew Mwangura von Kenias »Seafarer Association«, der die Piratenüberfälle vor Somalias Küste stets aufmerksam beobachtet. Selbst der ranghöchste US-Militär in der Region, Marineadmiral Mike Mullen, ist beeindruckt: »Die sind wirklich gut«, so Mullen. »Gut bewaffnet und taktisch geschickt.« Vermutlich von einem ebenfalls gekaperten nigerianischen Frachter aus gelang es den Piraten, an Bord des monströsen Tankers zu kommen. »Und wenn die erst mal drauf sind, kann man eh nichts mehr tun – dann haben sie ja die Geiseln in ihrer Gewalt.«

Die 25 Besatzungsmitglieder stammen nach Angaben der saudischen Eigner aus Großbritannien, Kroatien, Polen, den Philippinen und Saudi-Arabien. Ihnen geht es gut, teilten die Entführer mittlerweile mit. Das US-Militär verfolgte den Weg der »Sirius Star« an die nordsomalische Küste am Dienstag zwar, ein militärisches Eingreifen werde aber nicht in Erwägung gezogen, so ein Armeesprecher in Dschibuti, wo die US-Marine ihren Stützpunkt hat.

Doch es scheint kaum vorstellbar, dass die USA die neue Dimension der Piraterie vor Somalia einfach hinnehmen werden. Nicht nur, weil das Öl an Bord der »Sirius Star« für die USA bestimmt war. Die anhaltenden Überfälle auf einer der bedeutendsten Schifffahrtsrouten der Welt, auf der jährlich 20 000 Schiffe zwischen Asien, Europa und den USA unterwegs sind, gefährden das Rückgrat der angezählten Weltwirtschaft. Derzeit befinden sich ein Dutzend Schiffe und rund 250 Besatzungsmitglieder in der Hand von somalischen Piraten. Nach dem Überfall auf die »Sirius Star« gilt es als noch wahrscheinlicher, dass große Reedereien die deutlich längere Alternativroute um das Kap der guten Hoffnung einschlagen. Das würde jedoch drei Wochen mehr Reisezeit und damit eine Verteuerung aller auf der Strecke bewegten Güter bedeuten.

Auch das bisher deutlichste Zeichen eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Piraten, drei Kriegsschiffe unter NATO-Befehl, denen im Dezember eine EU-Mission folgen soll, hat bisher das blühende Geschäft mit der Piraterie nicht stoppen können. Zu groß ist die Anziehungskraft der Boombranche im ansonsten in Schutt und Asche liegenden Somalia, das seit 1991 keine Regierung, keine Polizei und auch keine Küstenwache mehr hat. Wo noch vor zwei Jahren allenfalls armselige Fischerhütten standen, bauen die neureichen Piraten heute Villen. Im semi-autonomen Puntland ist die Piraterie zum wichtigsten Wirtschaftssektor avanciert. 50 Millionen Dollar Lösegeld, so die Prognose allein für dieses Jahr, sind doppelt so viel wie der Etat der puntländischen Regierung.

In Piratennestern wie Eyl hat sich eine rege Dienstleistungsbranche entwickelt. Sobald die Piraten – selten mehr als zehn Mann – ein Schiff gekapert haben, läuft eine gut geölte Maschinerie an, berichtet ein somalischer Journalist. »Männer ziehen Anzüge und schicke Schuhe an, werfen Laptops in ihre Landcruiser und fahren zum Hafen, um auf die Besatzung zu warten.« Die einen erklären sich flugs zu Verhandlungsführern, andere zu Finanzverwaltern.

Die Piraterie hat einen politischen Hintergrund. Jedes Lager verdient mit am Millionengeschäft: die Islamisten und ihre Förderer, die in den vergangenen Monaten fast ganz Somalia erobert haben, ebenso wie die Übergangsregierung unter Präsident Abdullahi Yusuf, der aus Puntland stammt. Zudem haben die Millionen aus den Lösegeldern eine neue, dritte Kraft aufgebaut, deren politische Zugehörigkeit vorerst noch unklar ist. Doch fest steht: Mit ihrem Geld und den vermutlich modernsten Waffen am Horn von Afrika ist ihr Einfluss groß. Mit jeder Entführung wächst er.

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