Sind die fetten Jahre im Tourismus vorbei?

Urlaub wird 2009 teurer / Ostdeutsche reisen weniger, wollen aber mehr Geld dafür ausgeben

  • Marie Reinhard
  • Lesedauer: 5 Min.
Urlaub – Sehnsucht nach heiler Welt, Abenteuer und schöner Landschaft, wie hier in Norwegen.
Urlaub – Sehnsucht nach heiler Welt, Abenteuer und schöner Landschaft, wie hier in Norwegen.

Trotz der ständig schwieriger werdenden finanziellen Lage wollen die meisten Ostdeutschen nicht auf eine Urlaubsreise verzichten. 62 Prozent sind sogar bereit, dafür mehr Geld als in den Vorjahren auszugeben. Eher sparen sie anderswo als an den schönsten Wochen des Jahres. Das geht aus dem »Reisebarometer 2009« hervor, das das Leipziger Institut für empirische Forschung (LEIF) alljährlich im November auf Grundlage einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung in den fünf neuen Bundesländern und Berlin herausgab. Vorgestellt wurde es am vergangenen Mittwoch auf der Leipziger Reisemesse.

8,46 Millionen Ostdeutsche, zwei Drittel der Bevölkerung der neuen Bundesländer, packten in diesem Jahr ihre Koffer, um in die Ferien zu reisen. 200 000 weniger, als noch vor einem Jahr. 31 Prozent zogen mehr oder weniger freiwillig Urlaub auf Balkonien vor. Die wichtigsten Gründe für den Verzicht waren neben Mangel an Zeit (17 Prozent) und an Geld (45 Prozent) zunehmend gesundheitliche Gründe. Insbesondere die älteren Jahrgänge der über 60-Jährigen verreisen weniger. 25 Prozent von ihnen gaben als Verzichtsgrund die eigene Krankheit und die Pflege von Angehörigen oder das hohe Alter an. »Zunehmend«, so LEIF-Geschäftsführer Dr. Harald Schmidt, »rücken Ostdeutsche in die sogenannte dritte Lebensphase nach, die nicht mehr so hohe Renten erhalten wie die Rentner bis zum Geburtsjahrgang 1940. Und diese reisen aus gesundheitlichen Gründen seltener.«

Die sozioökonomische Situation in Deutschland wirke sich stark auf das Freizeit- und Ferienreiseverhalten aus, so Schmidt. Zwar werde die Zahl der Reisenden nur geringfügig sinken, wohl aber sind starke Veränderungen im Reiseverhalten zu erwarten. Das betreffe die Häufigkeit und die Dauer ebenso wie die Bevorzugung von bestimmten Angeboten, Verkehrsmitteln und Zielen. So wird Deutschland nicht nur das wichtigste Urlaubsland der Ostdeutschen bleiben, sondern prozentual weiter steigen. 16 Prozent planen laut Umfrage für 2009, die Hauptferienzeit im eigenen Land zu bleiben. So hoch war der Anteil seit über zehn Jahren nicht mehr. Begehrteste Region wird die östliche Ostsee bleiben, gefolgt von Bayern. Zunehmend gefragt sind die Nordsee, die Mecklenburger Seenplatte, Brandenburg, der Schwarzwald, Thüringen und Sachsen.

Ins Ausland lockt es 39 Prozent der Ostdeutschen, 27 Prozent bevorzugen Ziele in Europa, wobei Spanien nach wie vor die Hitliste anführt, gefolgt von Österreich und Italien. Zulegen konnten die Schweiz, Großbritannien, Griechenland und Kroation. Fünf Prozent zieht es in nichteuropäische Länder, vor allem Ägypten, Tunesien, Marokko und die arabischen Destinationen sind beliebt. Sechs Prozent bevorzugen ferne Überseeregionen. Wichtige Ziele sind die USA, die Karibik, Süd- und Mittelamerika, Asien und Australien.

Selbst in finanziellen Krisensituationen verzichten viele lieber auf etwas anderes als auf eine Urlaubsreise. Das belegen die Forschungsergebnisse des LEIF-Institutes der vergangenen Jahre. Wie Schmidt sagte, seien die Gründe insbesondere darin zu sehen, dass sie der »wichtige Ausgleich zum oftmals düsteren Alltag« sind. »Reisen sind somit ein Aspekt der Psychohygiene und haben in vielerlei Hinsicht therapeutische Wirkungen«, betont der Soziologe. So sei auch zu erklären, warum die Nachfrage in der Tourismusbranche weniger rückgängig als in anderen Konsumbranchen sei. Selbst der Einbruch in der Finanzbranche, der vielen kleinen Sparern empfindliche Verluste brachte, ändere nichts an den Reiseplänen für 2009. Schmidt nennt es die Entscheidung zur »Reiseerinnerung als Anlage«.

Auf die Frage, wobei man sich im Urlaub am ehesten einschränken würde, nannten 32 Prozent das Essen, 27 Prozent die Ausflüge vor Ort, und 21 Prozent würden an Ausgaben für Kulturangebote sparen. Elf Prozent gaben an, im Notfall eine preiswertere Unterkunft zu wählen. 29 Prozent würden bei knapperem Geldbeutel nicht mehr so häufig die eigenen vier Wände verlassen, was nicht bedeutet, gar nicht mehr zu verreisen. Denn: 2008 unternehmen 28 Prozent aller Ostdeutschen zwei und mehr Ferienreisen von mindestens fünf Tagen, allerdings waren es 2002 noch 40 Prozent.

953 Euro gaben die Ostdeutschen 2008 durchschnittlich für ihre »Flucht aus dem Alltag« aus., 84 Euro mehr als 2007. Im kommenden Jahr müssen sie sich auf weitere Steigerungen einrichten. Die Befragten gaben an, durchschnittlich für den Haupturlaub 996 Euro aufwenden zu wollen.

Bevorzugtes Transportmittel war in den vergangenen Jahren das eigene Auto. 2008 haben 29 Prozent der Pkw-Besitzer ihr Fahrzeug seltener benutzt. Als Hauptgrund gaben sie die extrem gestiegenen Kraftstoffpreise an. Umweltbelastungen durch Abgase sind nur für ein Prozent der Befragten ein Grund, das Auto öfter stehen zu lassen. 37 Prozent wählten als Transportmittel das Flugzeug, drei Prozent weniger als im Jahr 2007. Acht Prozent bevorzugten den Bus und nur sieben Prozent die Bahn als Hauptreiseverkehrsmittel.

Bereits jetzt steht für 55 Prozent der Ostdeutschen fest, dass sie im kommenden Jahr mindestens einmal in Urlaub fahren wollen. Diese frühe Reiseabsicht ist laut Barometer deutlich stärker als in den Vorjahren ausgeprägt. 2007 waren es Ende November erst 49 Prozent. 23 Prozent sind in Hinsicht auf ihre Reisepläne für 2009 noch unsicher, 2007 waren es zum gleichen Zeitraum noch 32 Prozent.

Allen Unkenrufen zum Trotz: Von Reisefrust kann keine Rede sein. »Wir blicken in der Tourismuswirtschaft optimistisch ins kommende Jahr. Die Bürger werden weiter Weltenbummler bleiben, und das trotz Finanz- und Wirtschaftskrise, vielleicht gerade deshalb«, resümiert Dr. Harald Schmidt.

Für das Reisebarometer 2009 befragte das LEIF-Institut 1200 Personen im Alter ab 16 Jahren nach Abschluss der Hauptreisesaison 2008. Die Population entspricht der Struktur der Bevölkerung in den fünf neuen Bundesländern und Berlin. Weitere Infos: www.gruppeleif.de

Die Leipziger Reisemesse Touristik & Caravaning International 2008 findet noch bis zum 23. November auf dem Leipziger Messegelände statt. 1150 Aussteller aus 53 Ländern präsentieren ihre Angebote. Infos: www.touristikundcaravaning.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal