Kosovo und das Recht des Stärkeren

ND-Autor sieht Kolonialismus zurückkehren

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 2 Min.
»Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus« ist der Titel des neuesten Buches, das der Wiener ND-Autor und Balkan-Kenner Hannes Hofbauer geschrieben hat.

Als die NATO-Staaten mit dem Krieg gegen Jugoslawien am 24. März 1999 Europas Nachkriegszeit beendeten, begründeten sie dies mit der Notwendigkeit, die Multikulturalität Kosovos zu retten. Fast zehn Jahre später gibt es in Kosovo nur eine einzige »Gemeinde«, die als multikulturell zu bezeichnen wäre: Es sind die »Internationalen«, wie die militärischen und zivilen ausländischen Verwalter des Amselfelds genannt werden. Deren Ruf, hat ND-Autor Hannes Hofbauer in und um Priština festgestellt, ist nicht der beste: Sie haben mit Land und Leuten im Prinzip nichts zu tun, sehen ihr Zuhause anderswo, sprechen die Sprachen nicht, verstehen die Kultur nicht und stecken unverschämt hohe Löhne ein. Doch »mit diesem Stigma hat jede Fremdherrschaft zu kämpfen«, schreibt der Autor. »Und die UNMIK-OSZE-EULEX-KFOR-Vertreter repräsentieren eine solche.«

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner am 17. Februar hat daran nichts geändert. Der Plan einer »überwachten Unabhängigkeit«, der in der UNO zwar verworfen worden war, von den USA und der EU gleichwohl in Kraft gesetzt und faktisch zur Verfassung Kosovos erklärt wurde, unterwirft Legislative und Exekutive fremder Vormundschaft, von der militärischen Herrschaft ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass die heftigste Kritik des schlecht verbrämten Kolonialismus aus den Reihen radikaler albanisch-kosovarischer Unabhängigkeitsverfechter zu hören ist.

Hofbauer weist in seinem neuesten Buch nach, dass USA und EU – auch im Wissen darum, dass ein Staat Kosovo mangels solider ökonomischer Grundlagen zum Scheitern verurteilt wäre – nie an eine echte Selbstbestimmung dachten. Im bewährten Wechsel von Report und Analyse, aufbauend auf einem Resümee der mehrhundertjährigen Geschichte des Landstrichs und seiner Bewohner, zeichnet der Autor darüber hinaus ein kontrastreiches Bild der gegenwärtigen Situation.

Gerade droht sich die ausgeklügelte »Europäische Rechtstaatsmission« EULEX in den Fallstricken einander widersprechender rechtlicher Konstruktionen zu verfangen. Den Charakter der Herrschaft über Kosovo berührt das jedoch nicht: Die vergangenen zehn Jahre haben hinreichend Beispiele dafür geliefert, dass die großen Akteure auf dem Balkan je nach Bedarf »einmal das Völkerrecht und einmal das Recht des gerade Stärkeren« zum Prinzip erklären. Die Stärkeren sind sie derzeit, also können sie auf dem Amselfeld trefflich »experimentieren«. Und das heißt: Hofbauers Titel trifft.

Hannes Hofbauer: Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus. Promedia Verlag Wien, 264 S., 17,90 Euro.
Diskussion in Berlin: Am 23. November (Sonntag) diskutiert Dr. Seltsam mit dem Buchautor im Oberbaum-Eck, 10997 Berlin, Be-vernstr. 5. Beginn 13 Uhr.

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