Gier muss sein, aber auch gebändigt werden

Politik und Wirtschaft diskutierten über Auswirkungen der Kapitalmarktkrise auf die Region

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Einige Euro aus Schokolade reichte gestern zum Morgenkaffee des »Wirtschaftspolitischen Frühstücks« die Industrie- und Handelskammer im Ludwig-Ehrhard-Haus. Zum Thema internationale Kapitalmarktkrise und Auswirkungen auf die Region ging es mit 200 Vertreten der Wirtschaft dann aber schon in die Milliarden.

Mit dem Verweis auf die Praxis, dass die Gewinne privatisiert würden, die Verluste aber vom Staat zu begleichen seien, ging es in die 90-minütigen Debatte. »Das denken die Menschen zurecht, weil es ja so ist«, räumte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) trocken ein. Ohnmächtige Wut sei jedoch kein guter Ratgeber. Bei der Verstaatlichung von Banken, die Verluste gemacht haben, würde er jedenfalls »als Staat nur Stammaktien« nehmen.

Als Ausblick wählte der Senator den gewohnt sparsamen. Es dürften nicht wieder die Haushalte in Defizite geführt werden. Bei langfristigen Infrastrukturmaßnahmen sei eine Spanne von sieben bis acht Jahren bis zur Realisierung zu bedenken. »Was man an Programmen hat, muss ordentlich laufen.« Eine schwarze Null wäre gut, »es kann aber auch ganz anders kommen«, orakelte etwas unwillig Wirtschaftssenator Harald Wolf (LINKE). In Berlin gelte es, Investitionen aus der Planung auch wirklich zu verausgaben. »Die Diskussion über nicht ausgeschöpfte Investitionsmittel hat begonnen.« Wolf kündigte an, »so etwas wie einen Reservepool von Maßnahmen zu bilden, die rasch umgesetzt werden können«. Den Luxus, Investitionen nicht zu verausgaben, könne man sich nicht leisten.

Sein Amtskollege aus Brandenburg, Rainer Speer, setzte sich dafür ein, dort die Investitionsquote zu halten. Die Forderung, mehr Geld auszugeben, konterte er mit der Frage, wo es denn herkomme. Dann sollten auch noch Steuern gesenkt werden. Doch 2,5 Millionen Euro Zinsen zahle das Land Brandenburg täglich – das Geld hätte man jetzt gern anderswo.

Für den Abbau von Bürokratie und Vereinfachungen setzte sich zum wiederholten Male Eric Schweitzer, Präsident der IHK, ein. Berlin müsse seine eigene Verantwortung wahrnehmen Es reiche nicht aus, den Bund »mit Daumen hoch und Daumen runter« zu bewerten. Ob der Staat der bessere Banker sei, fragte er, und erinnerte an den Skandal um die landeseigene Bankgesellschaft Berlin. Der Staat müsse aber auch nicht von vornherein der schlechtere Banker sein, räumte er ein. Versagt habe der Staat bei der Regulierung.

Das gehörte in die Abteilung Analyse der Finanzkrise, und die fiel recht einmütig aus. Eine »Mitschuld« des Staates wegen dessen Zinspolitik attestierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann. Gier sei nötig in der Marktwirtschaft, machte er Triebkräfte deutlich, doch müsse die gebändigt werden. Moral sei schön, aber »moralisieren hilft uns nicht weiter«. Minister Speer assistierte volkstümlich mit »Geiz ist geil« und Lebensmittelskandalen, weil der Döner noch unter zwei Euro gedrückt werden sollte. »Der Staat muss solchen Unfug aufhalten.«

Einige Banken seien tüchtig und fleißig in der falschen Richtung unterwegs gewesen, beklagte der IHK-Chef. Hätten sie Forderungen eingehalten, die sie gegenüber anderen erheben, »wären einige Dinge nicht passiert«. Mit der systematischen Deregulierung der Finanzmärkte seien Geister gerufen worden, deren man nicht mehr Herr geworden sei, meinte Senator Wolf. Bank- und Kreditgeschäft seien »gefahrgeneigtes Handwerk«. Das brauche Aufsicht.

Als Faktor zu bedenken gab Holger Hatje, Vorstand der Berliner Volksbank, die technische Entwicklung und Digitalisierung des globalen Marktes. In Nanosekunden gehe es heute von Moskau nach New York. Dieter Puchta, Vorstandschef der Investitionsbank Berlin, verwies auf ein Versagen der Ökonomen. Unwidersprochen seien über Jahre Renditeziele von 25 Prozent ausgegeben worden. Er plädierte dafür, nur Produkte zu handeln und zu vertreiben, »die man wirklich versteht«. Die Möglichkeiten unter dem staatlichen Rettungsschirm sollten auch genutzt werden, versprach Klaus Kubbetat, Regionalvorstand der Commerzbank.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal