Es ist Mittwochnachmittag. Draußen vor der Merian-Oberschule im Berliner Stadtteil Köpenick machen sich Schüler auf den Nachhauseweg. Drinnen sitzen in einem Klassenraum mehrere Gruppen von je fünf bis sechs Schülerinnen und Schülern. Überwiegend aus den achten Klassen. Die Schülergruppen besprechen den Stand ihrer Vorbereitungen für die Projektwoche »Identity - Sein« mit Gästen und Betreuern. Da sind unter anderem Axel Pannicke vom Fanprojekt Berlin und Cornelia Laudamus vom 1. FC Union Berlin. Die freiwillig anwesenden Schüler planen und erarbeiten, was sie im Dezember mit und für ihre Mitschüler umsetzen wollen. Sie sind die Verantwortlichen für die Projektwoche »Identity - Sein«, einer Idee des Lernzentrums des Fußballvereins 1.FC Union Berlin.
Das vereinsübergreifende Berliner Fanprojekt, bei dem Axel Pannicke arbeitet, hat die Idee für ein Lernzentrum im Fußballverein aus England übernommen. Dort haben viele Vereine sogenannte study support center. Nachwuchs-sportler in den Vereinen werden nach dem Training beim Lernen unterstützt und Jugendliche aus dem lokalen Umfeld des Vereins werden einbezogen. Kommunikationstraining, Konfliktmanagement und Hilfe bei Bewerbungen sind nur ein paar Beispiele des sozialen Engagements der Vereine. Auf den 1. FC Union passt die Idee sehr gut, meint Pannicke, weil der Verein ähnlich wie englische Vereine sozial stark im Kiez verankert sei. Der Verein prägt das Leben der Menschen in Berlin-Köpenick und die Menschen prägen den Verein.
Eine EU-Finanzierung für lokales soziales Engagement brachte das Projekt beim 1.FC Union ins Rollen. Eine Energiefirma stellte kostenlos Computer zur Verfügung. Wo externe Mittel oder Sachleistungen nicht zur Verfügung stehen, helfe laut Laudamus die Vereinsleitung. Durch die Anbindung der Projekte an die Netzwerke des Vereins sei es möglich, den Jugendlichen Perspektiven in der Berufsvorbereitung und eine soziale Integration zu bieten.
»Die Gruppe dort hinten beschäftigt sich mit Rassismus beim Fußball«, sagt Cornelia Laudamus und deutet auf die Gruppe, bei der Axel Pannicke sitzt. Dieser fragt die Schülerinnen gerade, was sie seit dem letzten Treffen so beobachtet haben. Die Mädchen erzählen, dass sie mitbekamen, dass jemand eine andere Person als rassistisch bezeichnet hat, obwohl dies nicht stimmt. Sie reden darüber, dass Rassismusvorwürfe auch ausgenutzt werden können, um andere zu denunzieren. Man müsse sehr genau hinhören. Pannicke erzählt aus seiner Erfahrung in der Fanarbeit. Fußballfans würden im Stadion einerseits fremdenfeindliche Sprüche gegen gegnerische Spieler brüllen und andererseits ausländische Spieler des eigenen Teams akzeptieren und bejubeln. Cornelia Laudamus berichtet, dass es beim FC Union Spieler gibt, die der muslimischen Religion angehören. Darauf müsse man besonders im Fastenmonat Ramadan Rücksicht nehmen, wenn diese Spieler zwischen Sonnenaufgang und -untergang nicht essen und trinken dürfen. Laudamus bietet an, Spieler mit Migrationshintergrund zu einer Diskussionsrunde über Alltagsrassismus einzuladen.
Die Mädchen lernen, sich gezielt mit dem Thema auseinanderzu- setzen. Sie sammeln, dokumentieren und bereiten sich auf die Projektwoche vor, in der sie das gewonnene Wissen an ihre Mitschüler weitergeben sollen. Über die Begeisterung für den Fußball und den lokalen Verein werden die Schüler für andere Bildungsbereiche motiviert und soziale Kompetenzen gestärkt.
Cornelia Laudamus , die hauptberuflich in der Erwachsenenbildung tätig ist, leitet die AG Soziales in der FUMA, der Fan- und Mitgliederabteilung des 1. FC Union Berlin. Dort ist das Lernzentrum konzeptionell und organisatorisch zu Hause. Normalerweise finden die Lernprojekte auf dem Vereinsgelände statt. Da dort aber noch bis Jahresende gebaut wird, ist man mit dem aktuellen Projekt in die Schule gegangen. Die Nähe zum Verein und zum Fußball wird trotzdem hergestellt. Eine Besuch der Geschäftsstelle, der Stadionbaustelle und eines Spiels sind geplant.
Ohne das ehrenamtliche Engagement vieler Leute, die mit dem Projekt zu tun haben, sei das Ganze jedoch nicht möglich, meint Cornelia Laudamus. Ein Beispiel steht gleich neben ihr. »Petra Hennig macht die Arbeit in ihrer Freizeit«, sagt Laudamus über die Lehrerin von der Merian-Schule. Petra Hennig gibt das Kompliment zurück. Sie sei sehr froh, dass sie diese Projektwoche mit Unterstützung des Lernzentrums des Fußballvereins vorbereiten könne.
Das Lernprojekt will vor allem auch Angebote machen, die von benachteiligten Kindern und Jugendlichen angenommen werden können. Auf die Frage, was Benachteiligung für sie heißt, spricht Petra Hennig von Scheidungskindern und von Armut. Vor allem sieht sie jedoch Benachteiligungen im und durch den Schulalltag. »Die Realität für die Schüler ist, dass sie kaum Möglichkeiten haben, sich einzubringen.«. Selbstbewusstsein, das oft fehlt, sei da nur schwer zu entwickeln. Die Vorbereitung der Projektwoche stelle in den Mittelpunkt, was den Schülern laut Petra Hennig oft fehle: »Schüler finden hier ihren Platz, lernen Verantwortung zu übernehmen.«
Das zahlt sich auch für den Verein aus. Mit der ersten Projektreihe hat das Lernzentrum in etwas mehr als einem Jahr 160 Jugendliche erreicht. Nach der Auszeichnung mit dem Bildungspreis »Lernanstoß« von der Deutschen Akademie für Fußballkultur würdigte in diesem Jahr auch der Berliner Fußball-Verband die Arbeit mit dem erstmals verliehenen Integrationspreis.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/140103.mehr-als-das-fussball-abc.html