nd-aktuell.de / 05.12.2008 / Politik / Seite 13

Obama reicht den Neocons die Hand

Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.

ND: Am Wochenende findet der 15. Friedensratschlag in Kassel statt. Was sind die Schwerpunkte?
Strutynski: Die Schwerpunkte ergeben sich aus der gegenwärtigen weltpolitischen Lage. Mit der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten bestehen große Erwartungen an einen Politikwechsel in Washington. Ich persönlich erwarte nicht, dass sich diese Erwartungen auch erfüllen. Trotzdem haben wir es mit einer völlig veränderten Situation zu tun, weil die USA unter ihm versuchen werden, die Politik des brachialen Unilateralismus der Bush-Ära zu beenden.

Das zweite zentrale Thema ist die NATO, die sich zu einem globalen Militärbündnis entwickelt und im Frühjahr ihren 60. Geburtstag feiern wird. Dieser Geburtstag wirft seine Schatten auf den diesjährigen Ratschlag.

Obama hat die Schlüsselposition für seine Außen- und Sicherheitspolitik besetzt. Wie schätzen Sie die Nominierungen ein?
Die zukünftige Außenministerin Hillary Clinton hat im Wahlkampf den Eindruck erweckt, als gehörte sie zu Washingtons politischen Hardlinern. Sie ist der aggressiven Variante der US-Außenpolitik verpflichtet. Gegen Iran hat sie einen Nuklearangriff zumindest in Erwägung gezogen. Vergleiche zu Condoleezza Rice sind zulässig.

Der designierte Verteidigungsminister Robert Gates steht für die Militärpolitik von George W. Bush. Diese Nominierung hat symbolischen Charakter. Barack Obama streckt dadurch die Hand in Richtung neokonservativer Falken aus.

Auch die Finanzkrise ist in Kassel Thema. Warum?
Die Krise hat globalen Charakter und wird die weltpolitische Lage verändern. Von ihr sind zuallererst die Ärmsten der Armen betroffen. Auswirkungen auf Migration, Unruhen, inner- oder zwischenstaatliche Konflikte besonders in der »Dritten Welt« sind sehr wahrscheinlich. Deshalb ist die Finanzkrise am Wochenende Diskussionsgegenstand.

Der Krieg am Hindukusch ist das zentrale Thema der deutschen Friedensbewegung. Trotz Rückhalt in der Bevölkerung wird der Kriegseinsatz im Parlament Jahr für Jahr abgenickt. Scheinbar ist die Friedensbewegung machtlos.
Von der Durchsetzung friedensbedrohender Entscheidungen im Bundestag kann man nicht so ohne Weiteres auf die Machtlosigkeit der Friedensbewegung schließen. Täten wir das, dann verlöre auch die große Protestbewegung der 80er Jahre an Glanz. Sie hat schließlich auch nicht verhindern können, dass 1983 die Stationierung der Pershing-II-Raketen im Bundestag beschlossen wurde. Richtig ist: Der außerparlamentarische Druck der Friedensbewegung hat bisher nicht ausgereicht, politische Mehrheiten im Parlament zu verändern. Eine Bewegung aber hat in erster Linie aufklärerischen Charakter. Sie muss das Bewusstsein der Bevölkerung beeinflussen. Nur auf diesem Weg kann sie mittelfristig eine Veränderung der Politik herbeizuführen.

Afghanistan wird für die Friedensbewegung ein zentraler Punkt bleiben. Es ist zu befürchten, dass Deutschland immer tiefer in diesen längst verlorenen Krieg hineingezogen wird.

Fragen: Christian Klemm