nd-aktuell.de / 05.12.2008 / Politik / Seite 3

Nicht an jeder Kabale beteiligt

Ralf Stegner über Flügelgeografie in der SPD, den Lafontaine-Verein und seine Unlust, den Konservativen zu gefallen

Ralf Stegner, Chef der schleswig-holsteinischen SPD und deren Landtagsfraktion in Kiel, ist mehr als 25 Jahre Sozialdemokrat. Zwei Jahre war er unter SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis Finanzminister und fast drei Jahre unter CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen Innenminister. Der als Parteilinker geltende einstige Harvard-Student, der die Agenda 2010 so falsch nicht finden kann, hat als SPD-Spitzenkandidat für die nächste Landtagswahl seine ganz persönliche Agenda 2010. Mit dem 49-Jährigen sprachen Gabriele Oertel und Dieter Hanisch.

ND: Tauziehen um Andrea Ypsilanti, Parteiaustritt von Wolfgang Clement – kommt die SPD überhaupt nicht mehr aus dem Jammertal?
Stegner: Die SPD ist eine Partei, in der über Inhalte gestritten wird. Eine klassische Kommando-Partei – wie die Union – bei der eine sagt, wo es langgeht, und Inhalte keine Rolle spielen, war die SPD in den letzten 145 Jahren nicht und wird es nie werden. Wir sind ungeachtet derzeitiger mieser Umfragewerte eine Volkspartei mit großer Breite in Programm und Personal. Da gibt es Strömungen und Flügel mit verschiedenen Ansätzen. Allerdings kultivieren wir den Streit mitunter mehr, als es nützlich für uns ist.

Beispielsweise über Hessen.
Bei den Auseinandersetzungen um Andrea Ypsilanti darf man nicht außer Acht lassen, dass sie mit ihrer hessischen SPD im Wahlkampf mächtige Interessen – zum Beispiel von Energiekonzernen – herausgefordert hat, die sich zu artikulieren wussten. So sehr man im Detail ihr Agieren durchaus kritisieren kann – und das tue ich auch –, finde ich es völlig unangemessen, dass die Spitzenkandidatin quasi zur Unperson erklärt wird.

Diskussionsfreude, Strömungen – verharmlosen Sie die SPD-Konflikte angesichts der häufigen Chefwechsel nicht ein wenig?
Natürlich gab es zuletzt Vorgänge, die mir nicht gefallen. Dennoch gehört es nicht zu meiner Vorstellung von Partei, dass Führungswechsel nur stattfinden, wenn der alte Vorsitzende gestorben ist. Klar, es waren seit Willy Brandt ein bisschen viele Nachfolger. Aber die Brandts wachsen auch nicht auf den Bäumen. Ich würde bestreiten, dass das Maß an Rivalität in der SPD größer als in anderen Parteien ist.

Das sah auf dem Hamburger Parteitag anders aus. Da gewann Beck gegen Müntefering, um dann in die Wüste geschickt zu werden.
Der Hamburger Parteitag hat uns vor allem programmatisch voran gebracht. Über 90 Prozent der Delegierten haben Programm wie Personal mitgetragen.

Sie gelten als Linker in der SPD, um die es seit Münteferings Machtübernahme sehr ruhig geworden ist. Stimmt der Eindruck?
Ich gehöre, was Grundüberzeugungen bei Bildung, Energie, Sozialstaats- und Arbeitnehmerfragen angeht, sicher zum linken SPD-Flügel. Andererseits war ich zwölf Jahre Regierungsmitglied, so dass sich meine Wunschvorstellungen nicht darauf beschränken, schöne Papiere zu schreiben, sondern mit Mehrheiten etwas für Menschen zu erreichen. So gesehen, halte ich die oft zelebrierte Flügelgeografie bis ins kleinste Karo für nur in Maßen hilfreich und bin froh, Vorsitzender der SPD Schleswig-Holstein zu sein, weil wir diskussionsfreudig sind, aber nicht über die klassischen Flügel verfügen.

Vorsicht! Der Sturz Ihrer Genossen Björn Engholm und Heide Simonis, beide einst Kieler Ministerpräsidenten, war mitnichten das Werk des politischen Gegners.
Gegen eine solche Charakterlosigkeit ist keine Partei gefeit. Ich argumentiere nicht für die Heiligsprechung von Schleswig-Holsteins SPD, sondern sage, dass ich den Mangel an Solidarität bei uns nicht erlebe. Wir stehen meist geschlossen da und haben mit inhaltlichen Positionen – ob beim Kampf gegen Atomenergie, eine gerechte Steuerpolitik oder für eine Bürgerversicherung – das Profil der Bundes-SPD mitgeschärft.

Warum gehen dennoch von der SPD so viele Signale von Kabale und so wenige von Liebe aus ?
Der Berliner Politikbetrieb ist stark selbstreflektiert und manch einer guckt mit der Erhabenheit der Hauptstadt auf die Niederungen der Provinz. Gehässigkeiten gehören da offenbar zu einer politischen Kampfsportart in Hintergrundgesprächen mit der Presse. Wahlen werden aber nicht in Berliner Cafés entschieden, sondern in Schleswig-Holstein, der Eifel oder Ostdeutschland. Man muss nicht an jeder Kabale beteiligt sein, um dazuzugehören. Politische Interessen vertrete ich in Vorstand wie Präsidium.

Aus derlei Kenntnis wissen Sie, wie viel Schrödersche Basta-Politik in der SPD noch vorhanden ist?
Wir haben auf unserem Hamburger Parteitag kluge Beschlüsse gefasst, von denen man weder nach links noch nach rechts abweichen müsste. Das sind Grundweichenstellungen in der Bildungspolitik – gegen Kita- und Studiengebühren und für längeres gemeinsames Lernen. Wir haben uns zu Guter Arbeit, Mindestlöhnen, gegen prekäre Beschäftigungen bei Leiharbeit positioniert. Wir haben zukunftsfähige Konzepte in der Umwelt- und Energiepolitik. Und vertreten eine Familienpolitik, die dafür sorgt, dass Kinderarmut abgebaut wird, keine neue Altersarmut entsteht. Und wir haben ein Konzept für einen handlungsfähigen Staat beschlossen, wofür wir in Schleswig-Holstein viel Vorarbeit geleistet haben. Von all dem muss nicht abgewichen werden – weniger Basta gab es also schon mit Kurt Beck.

Hat das Basta womöglich mit Müntefering eine neue Chance?
Diese Wahrnehmung habe ich nicht. Franz Müntefering weiß auch, dass die SPD sich in den letzten Jahren verändert hat. Und nicht zurückkehren wird zu einem Stil, der uns eben auch Mitglieder- und Wahlverluste und die Gründung des Lafontaine-Vereins beschert hat. Dennoch bin ich zuversichtlich. Die SPD ist die älteste demokratische Partei – und schon oft von Gegnern und Medien abgeschrieben worden. Vergebens.

Aber der Lafontaine-Verein, wie sie die LINKE nennen, ärgert Sie?
Wenn man Sozialdemokrat ist, und zwar aus Überzeugung, empfindet man keine Notwendigkeit, dass es links von der SPD eine Partei geben muss. Dann reklamiert man für sich, linke Volkspartei zu sein. Demoskopen sagen, die Linkspartei hat es in Bayern und Schleswig-Holstein am schwersten. Das ist so, weil wir eine progressive Politik machen und man sich ordentlich ins Zeug legen müsste, mit uns in Sachen Gerechtigkeit zu wetteifern. Wir verfolgen keinen Kurs, der für Linkspopulisten den Raum erweitert.

Viele ehemalige Sozialdemokraten machen jetzt bei der LINKEN sozialdemokratische Politik.
Sozialdemokraten sind mir äußerst sympathisch – sobald sie das Adjektiv »ehemalig« tragen, lässt das drastisch nach. Steht man für Überzeugungen, muss man in seiner Partei für Mehrheiten kämpfen. Darin haben wir im Norden Übung. Wir haben eine Weile gebraucht, bis auch die Bundes-SPD Nein zur Atomenergie gesagt hat, wir werben jetzt um ein anderes Steuerkonzept ... Am Anfang murren da viele in der Partei. Aber deshalb schmeiße ich doch nicht hin. Ich halte nichts von Leuten, die gar Parteichef waren und heute die Medien benutzen, um den ehemaligen Verein zu beschimpfen. Oder die beim Umgang mit Ausländern ein Vokabular verwenden, für das sie sich schämen sollten. Oder billigen, wenn die Gattin in Sachen Kinderbetreuung in politischen Beiträgen geradezu reaktionäre Positionen vertritt. An all dem entdecke ich nichts Sozialdemokratisches, das ist für mich links Reden und rechts Leben.

Bei allem Ärger über Lafontaine – sind Sie in gleicher Weise mit vielen anderen Ex-SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern fertig, die aus Protest gegen die Agenda-Politik die Partei verließen?
Mich bekümmert jeder Austritt. Wir machen in Schleswig-Holstein eine Politik, die das Argument entkräftet, die SPD kämpfe nicht für soziale Gerechtigkeit, obwohl wir Juniorpartner in einer Großen Koalition sind. Bei uns gibt es Gemeinschaftsschulen und keine Studiengebühren; wir prägen diese Koalition, so dass ich glaube, dass nicht übertrieben viele auf die Idee kommen, die LINKE zu wählen. Und was die rot-grüne Reformpolitik betrifft, finde ich den Grundgedanken richtig. Nicht die Höhe der Sozialtransfers ist entscheidend, sondern dass möglichst wenige darauf angewiesen sind. Die, die welche brauchen, müssen ordentliche kriegen. Nicht gut war, dass Fordern und Fördern nicht gleichzeitig stattfanden.

Unverkennbar ist, Sie mögen die LINKE nicht. Dennoch haben Sie nach Hessen für vernünftigen Umgang mit ihr plädiert. Warum?
Schon vor Hessen galt für mich: Ich akzeptiere keine Zuschreibungen von Konkurrenten, was wir dürfen oder nicht. Ratschläge der Union, die gegen kommunale Bündnisse mit den Linken in Cottbus, Zwickau, Dresden, Magdeburg oder anderswo nicht die geringsten Bedenken hat und sich darüber hinaus mit Ganoven wie Schill auf eine Regierungsbank setzt, braucht die SPD nicht. Sie entscheidet selbst. Den tief in meiner Partei steckenden Minderwertigkeitskomplex, man müsse den Konservativen gefallen, teile ich nicht. Nie-Sätze gelten nur für Nazis. Mit allen anderen muss man reden können – auf Länderebene.

Ein Ja mit Einschränkung?
Auf Bundesebene kann die SPD 2009 mit der Linkspartei ob deren Positionen in der Europa- und Außen- aber auch Sozialpolitik kein Bündnis eingehen. Die SPD ist eine patriotische Partei, unverantwortliche Politik werden wir nicht machen. In den Ländern muss man differenziert handeln. In Berlin demonstriert Klaus Wowereit, wie man mit einer Partei regiert, die in der Praxis buchstäblich das Gegenteil tut, was sie auf Parteitagen beschließt.

Jemand, der die Streitfreude der SPD hervorhebt, kann doch nicht ernsthaft kritisieren, dass es in der LINKEN auch Debatten gibt.
Das halte ich für eine euphemistische Interpretation. Ich kritisiere ja nicht die Berliner Landespolitik – im Gegenteil. Ich weise nur auf Diskrepanzen zwischen konkretem Handeln und radikalen Reden hin.

Und sind in komfortabler Lage, weil erst 2010 in Schleswig-Holstein gewählt wird. Richtig?
Natürlich wünsche ich mir am liebsten eine absolute Mehrheit für die SPD. Aber Politik ist kein Wünsch-dir-was. Ich sehe bei uns für 2010 die größten Schnittmengen mit Grünen und Südschleswigschem Wählerverband, zum Teil mit den Liberalen. Aber man darf eine Große Koalition nicht ausschließen, auch wenn wir sie nun wirklich nicht anstreben. Den Rest muss man sehen, denn zunächst wirbt man für eigene Inhalte, dann spricht der Wähler – und erst danach guckt man, mit wem man umsetzen kann, was man vor der Wahl versprochen hat. Da gibt es auch Schmerzgrenzen – mit einem Stasi-Spitzel würde ich mich nicht auf die Regierungsbank setzen. Fest steht: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland keine Insel ist, sondern sich europäisiert – also die Mehrheitsverhältnisse komplizierter werden. Es muss ja nicht gleich so kommen wie in Italien – in vielerlei Hinsicht nicht.